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Autos, Indianer und Morbus Hunter

Morbus Hunter, Seltene Krankheiten
Morbus Hunter, Seltene Krankheiten

Leander wurde mit einem seltenen Gendefekt geboren. Über die kleinen und großen Hürden des Alltags sowie die Erkrankung selbst sprechen Schwester Anabel und seine Eltern Michaela und Thomas im Interview.

Bitte beschreiben Sie uns Leander.

Michaela: Leander ist ein sehr fröhlicher und aktiver Junge. Er hält uns und seine Schwester Anabel ganz schön auf Trab.

Anabel: Leander nutzt nahezu jede Möglichkeit, um aus dem Haus zu rennen. Denn er mag Autos. Auch die Küche muss ich immer abschließen, weil er sonst entweder Essen klaut oder sich ein Messer in den Mund stecken kann. Das nervt. Aber meistens ist mein Bruder ein ganz süßer Junge.

Michaela: Autos sind wirklich seine große Leidenschaft. „Auto“ war auch das letzte Wort, das er gesprochen hat. Mit Autos kann er leider nicht mehr spielen, aber er sieht sie nach wie vor gerne an, wenn wir unterwegs sind. Überhaupt liebt er Autofahrten. Seine zweite große Leidenschaft ist die Zeichentrickserie Yakari. Er liebt den kleinen Indianerjungen, der mit seinem Pferd viele Abenteuer erlebt. Wir wissen nicht, was er verstehen kann. Aber bei manchen Szenen lacht Leander übers ganze Gesicht und reißt alle mit.

Thomas: Fernsehen und spazieren gehen gehören zu den wenigen Dingen, die ihn noch interessieren. Wenn beispielsweise der Fernseher aus ist, läuft er orientierungslos und unruhig durchs Haus. Leander nimmt leider wenig Kontakt zu Menschen auf, was besonders für seine Schwester schwierig ist. Wir stellen fest, dass er mehr und mehr in seiner eigenen Welt lebt. In dieser Welt ist er aber sehr glücklich.

Leander leidet an der lysosomalen Speicherkrankheit Morbus Hunter. Können Sie kurz erklären, worum es sich dabei handelt?

Thomas: Morbus Hunter ist eine Stoffwechselerkrankung. In Leanders Zellen sammelt sich, wie bei jedem Menschen, körpereigener Müll an. Nur bei ihm funktioniert die Müllabfuhr nicht, weil ihm ein Enzym fehlt. Deswegen werden die Zellen geschädigt und Leander verliert immer mehr Fähigkeiten, sowohl körperlich als auch geistig. Das Sprechen hat er ziemlich schnell verlernt. Irgendwann wird er nicht mehr laufen, nicht mehr essen können und Probleme mit der Atmung bekommen.

Gibt es keine Heilung?

Thomas: Nein. Nach dem derzeitigen Stand wird er früh sterben.

Wann merkten Sie, dass Leander sich nicht seinem Alter entsprechend entwickelt hat?

Michaela: Das war ein schleichender Prozess. Es gab viele Auffälligkeiten. Die Ärzte sagten uns, dass sich einiges noch auswachsen kann, beispielsweise sein hyperaktives Verhalten und seine Schlafstörungen. Wir wurden misstrauisch, als kurz nach der OP seines Wasserkopfes auch noch eine schwerwiegende Hörschädigung festgestellt wurde. Fachärzte sahen darin aber keinen Hinweis auf eine übergeordnete Krankheit. Wir ließen uns dadurch zunächst beruhigen. Eltern möchten natürlich auch glauben, dass alles gut ist.

Thomas: Als Leander mit zweieinhalb Jahren dann aufhörte zu sprechen, war uns klar, mit dem Jungen stimmt etwas nicht. Aber auch hier sagten die Ärzte, es könne schon einmal vorkommen, dass Kinder das Sprechen kurzzeitig einstellen. Aber es war zu viel, was zufällig zusammengekommen war. Nun wurde endlich auch ein Arzt hellhörig – kurz darauf hatten wir die Diagnose: Leander hat Morbus Hunter.

Was sind die größten Herausforderungen für Sie, seit die Diagnose feststeht, und wie meistern Sie den Alltag?

Michaela: Die größte Herausforderung ist, dass unser Sohn sterben wird und wir zusehen müssen, wie er auf diesem Weg immer mehr abbaut.
Thomas: Wir wussten anfangs auch gar nicht richtig, was die Diagnose bedeutet. Erst nach und nach haben wir erfahren, was auf uns und Leander zukommt. Die seelische Belastung war und ist enorm.

Michaela: Die ersten zwei Jahre nach der Diagnose waren sehr hart. Wir haben den Boden unter den Füßen verloren. Die Suche nach dem richtigen Facharzt und Fragen nach Möglichkeiten der Unterstützung bestimmten unseren Alltag.

Welche Unterstützung bekommen Sie?

Michaela: In der ersten Zeit hat uns die MPS-Gesellschaft, eine Selbsthilfegruppe, den meisten Halt gegeben. Bei seltenen Erkrankungen ist es schwierig, jemanden zu finden, der von den Problemen weiß. Das Beratungstelefon – und nach und nach auch der
Austausch mit anderen Familien – war für uns enorm wichtig.

Thomas: Mittlerweile haben wir ab und zu Unterstützung im Alltag. Es ist aber schwierig, einen passenden Betreuer für Leander zu finden. Seine Pflege ist aufwendig und Leander kann seine Bedürfnisse nicht äußern. Damit kommt nicht jeder zurecht.

Leander wird mit einer Enzymersatztherapie behandelt, die zwar die Lebensumstände verbessern soll, aber nicht heilt. Wie geht es Leander damit?

Thomas: Einmal in der Woche bekommt Leander das fehlende Enzym verabreicht. Die Infusion dauert vier Stunden. In seinen Organen schlägt die Therapie relativ gut an. Im Skelett allerdings eher schlecht. Leander kann zum Beispiel seine Ellenbogen und Knie nicht mehr richtig strecken. Wegen der Blut-Hirn-Schranke gelangt das Enzym nicht ins Gehirn. Das ist das größte Problem. Denn wichtige Steuerungsfunktionen gehen nach und nach verloren. Wenn der Kopf beispielsweise nicht mehr das Signal zum Laufen senden kann, bewegen sich die Beine auch nicht.

Was wünschen Sie sich für die Zeit mit Leander?

Anabel: Ich wünsche mir, dass er noch möglichst lange mit mir auf dem Trampolin hüpfen kann.

Michaela: Dass er sein Lachen behält. Und dass wir als Familie noch möglichst viele schöne Momente gemeinsam erleben.

Thomas: Die Heilung seiner Krankheit ist utopisch, das wissen wir. Im Moment geht es Leander gut – er ist ausgeglichen und fröhlich. Diesen Moment würden wir gern einfrieren.

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