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LHON ist selten – aber niemand ist allein

FOTO: JÜRGEN MERKENS

Nadine Rokstein ist 16 Jahre alt als sie plötzlich nicht mehr so gut sieht. Einige Monate später erhält sie die Diagnose: LHON, Lebersche hereditäre Optikusneuropathie, eine seltene Erbkrankheit, die das Sehvermögen beeinträchtigt und bis zur vollständigen Erblindung führen kann.

Nadine, wie haben sich die ersten Symptome bei dir geäußert?

Als ich schlechter sah, habe ich zunächst einfach den Zoom am Computer etwas höhergestellt. Das empfand ich noch als wenig dramatisch, aber es kamen Kopf- und Augenschmerzen hinzu, die mich stark beeinträchtigten. Mir war zum Teil so schwindelig, dass ich taumelte. Mit den Beschwerden ging ich zu einer Augenärztin, die mich aber nicht ernst nahm.

#5 Fakten zu LHON

#1 LHON gehört zu den als selten eingestuften Erkrankungen.

#2 LHON tritt bei etwa einem von 30.000 bis 50.000 Menschen auf; jährlich kommen in Deutschland circa 40 Neuerkrankungen hinzu.

#3 Die LHON-Mutation wird ausschließlich von der Mutter an die Kinder weitergegeben, ein Vater mit LHON kann die Erkrankung nicht an seine Kinder weitergeben.

#4 Einer LHON liegt fast immer eine entsprechende Genveränderung in den Mitochondrien zugrunde. Dennoch erkrankt bei Weitem nicht jeder mit diesem Defekt zwingend daran.

#5 Die Erkrankung verläuft schmerzlos. Die Sehprobleme bei LHON treten relativ plötzlich auf und können sich innerhalb weniger Wochen bis hin zu einem bei beiden Augen hochgradigen Sehverlust entwickeln.

Mehr Informationen finden Sie unter: www.pro-retina.de

Danach begann für dich und deine Eltern eine regelrechte Odyssee …

Ich wusste, dass mit meinen Augen etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist, fühlte mich aber hilflos und alleingelassen, weil diese Ärztin mir nicht glaubte, dass ich Schmerzen habe. Mein Neurologe nahm mich ernst, ich musste aber immer wieder im Wechsel zu der Augenärztin. Wir fühlten uns so unwohl, dass wir dann in ein Klinikzentrum gefahren sind. Der Chefarzt vermutete LHON, es mussten aber zunächst ein Gehirntumor und eine MS ausgeschlossen werden.

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Wann wurde dann die Diagnose LHON mittels Gentest gestellt?

Insgesamt dauerte es fünf Monate bis zur Diagnose. In der Klinik wurde ein spezieller Gentest gemacht, um die Mutation zu bestimmen. Bei mir ist es 11778. Das ist die häufigste Mutation bei LHON, die zu den schwersten Beeinträchtigungen führt, und so kam es bei mir relativ schnell zur Blindheit. Bei den verschiedenen Mutationen kann es manchmal zu spontanen Verbesserungen kommen – ich sage bewusst „kann“, weil nicht sicher ist, dass es passiert. Für die Mutation, die bei mir vorliegt, ist die Wahrscheinlichkeit für eine spontane Verbesserung gering.

Wie wurde der Gentest bei dir durchgeführt?

Es wurden eine Lumbalpunktion und verschiedene Tests gemacht, aber ich weiß gar nicht so viel über den medizinischen Ablauf aus dieser Zeit. Meine Eltern wollten mich nicht mit allen Verdachtsmomenten konfrontieren, um mich zu schützen, bis die Diagnose sicher war. Erst später haben wir über Vermutungen, die im Raum standen, gesprochen.

Konnte dir ein Vorschlag zur Therapie gemacht werden?

Ja, ich kam direkt im Anschluss an die Diagnose in eine Studie und habe begonnen, ein Medikament zu nehmen, dreimal täglich je fünf Tabletten. Dieses Medikament soll dafür sorgen, dass der Visus nicht weiter absinkt, einige Patienten berichten auch von Verbesserungen der Sehschärfe. Bei mir hat es leider keine Veränderung gebracht, aber es gibt Studien mit vielversprechenden Daten zu einer Gentherapie. Man findet sie, zusammen mit vielen weiteren Informationen, auf der Seite von Pro Retina, einer Selbsthilfevereinigung für Menschen mit Netzhautdegenerationen.

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Wie ist deine Familie und wie sind deine Freunde mit der Erkrankung umgegangen? Was hat dir geholfen?

Ich habe Freunde verloren, viele konnten nicht mit meiner Erkrankung umgehen. Es war, als wäre ich plötzlich ein anderer Mensch. Es wurden auch Witze über mich gemacht, auch von Fremden. Meine Familie hat mich unterstützt, das hat mir sehr geholfen. Uns hat die Situation aber erst mal allen zu schaffen gemacht und ich zog in ein Internat, um zur Ruhe zu kommen und mich selbst zu finden. Nach dem Abitur war es nicht leicht, eine Hochschule zu finden, an der ich Journalismus studieren konnte. Oft hieß es: “Wir sind gar nicht auf Studenten wie Sie eingestellt“. Aber schließlich hat es geklappt. Nach ein paar Jahren im Beruf mache ich aktuell ein Zweitstudium an der Freien Journalistenschule in Berlin.

Wichtig für Betroffene ist: Die Erkrankung LHON ist selten. Aber niemand ist damit allein. Bei Pro Retina gibt es den Arbeitskreis LHON, bei dem ich als Leiterin aktiv bin, und Jörg von de Fenn ist stellvertretender Leiter. Betroffene haben die Möglichkeit, sich miteinander auszutauschen, und erhalten viele Informationen zu aktuellen Erkenntnissen.

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