Home » Anlaufstellen » „Die interdisziplinäre Expertise ist der entscheidende Vorteil eines Zentrums für Seltene Erkrankungen“
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Zentren für Seltene Erkrankungen (ZSEs) sind eine wichtige Anlaufstelle für Menschen mit Seltenen Erkrankungen. Deutschlandweit gibt es mittlerweile über 30 ZSEs. Eines davon ist das Universitäts-Centrum für Seltene Erkrankungen (USE) in Dresden. Wir sprachen mit Prof. Dr. med. Reinhard Berner, Sprecher des USEs Dresden, über die wichtige Rolle der ZSEs.

Prof. Dr. med. Reinhard Berner

Sprecher des UniversitätsCentrums für Seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Foto: Universitätsklinikum Dresden

Die Möglichkeiten der genetischen Diagnostik sind ein enormer medizinischer Fortschritt, der besonders auch Menschen mit Seltenen Erkrankungen zugutekommt.

Herr Prof. Berner, Seltenen Erkrankungen auf die Spur zu kommen ist nicht leicht. Wie sehen die Diagnosewege derzeit aus?

Die Zugangswege sind ganz unterschiedlich. Ein sehr großer Teil der Seltenen Erkrankungen hat eine genetische Ursache, sodass Betroffene oft schon im Säuglings- oder Kleinkindalter klinische Auffälligkeiten zeigen. Wenn deren Ursache nicht zu klären ist, wird heute in der Pädiatrie relativ schnell auch auf Seltene Erkrankungen hin untersucht, die zur Symptomatik passen könnten. Bei Kindern ist der Zugangsweg also meist relativ direkt. Bei erwachsenen Betroffenen sieht das oft anders aus, da die Symptomatik unklar ist, sie häufig von Facharzt zu Facharzt überwiesen werden und man oft erst spät an eine Seltene Erkrankung denkt. Sie warten oft sehr lange auf ihre Diagnose oder erhalten sie schlimmstenfalls nie.

Sie verfolgen am USE einen interdisziplinären Ansatz bei der Diagnostik und Therapie: Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Netzwerk genau und welche Rolle spielt dabei moderne Technik?

Wenn wir einen Patienten übermittelt bekommen, wird der Fall in einer interdisziplinären Fallkonferenz besprochen. Dabei sind je nach Symptomatik Mediziner unterschiedlicher Fachbereiche eingebunden, die so einen ganzheitlichen Blick, aber von verschiedenen Seiten auf den Patienten, seine Beschwerden und seine Krankheitsgeschichte werfen. Diese strukturierte interdisziplinäre Expertise ist der entscheidende Vorteil eines ZSEs. Verhärtet sich der Verdacht auf eine Seltene Erkrankung und die Fallkonferenz kommt zu der Entscheidung, dass eine genetische Untersuchung sinnvoll ist, dann kann diese im Regelfall direkt in die Wege geleitet werden.

Diese Möglichkeiten der genetischen Diagnostik sind ein enormer medizinischer Fortschritt, der besonders auch Menschen mit Seltenen Erkrankungen zugutekommt. Mittlerweile können wir an den Zentren für Seltene Erkrankungen annähernd die Hälfte der Patienten diagnostizieren, aber unser Anspruch ist es natürlich, diese Zahl auch unter Einsatz von Bioinformatik, neuen Labor-, Analyse- und Auswertemethoden und KI in Zukunft weiter zu erhöhen.

Welche Schwerpunkte haben Sie in der Arbeit mit Patienten und ihren Angehörigen, und wo sehen Sie Potenziale, sie noch stärker einzubinden und zu unterstützen?

Am USE haben wir hier schon verschiedene Projekte erfolgreich umgesetzt, allen voran das Projekt Translate NAMSE. Der Fokus war hier ganz klar, Diagnosewege zu verkürzen und Betroffenen eine Behandlung zu ermöglichen, wenn es für die Erkrankung zielgerichtete Therapien gibt.

Aber auch wenn die diagnostizierte Erkrankung noch nicht zielführend therapiert werden kann, haben viele der am Projekt beteiligten Familien berichtet, dass es bereits eine große Erleichterung für sie war, dass der Erkrankung ein Name gegeben werden konnte. Und vielen Betroffenen konnten dadurch auch neue Wege der Begleitung und Therapieunterstützung ermöglicht werden. Dabei ist es wichtig herauszufinden – und dafür brauchen wir gerade die Patienten und ihre Angehörigen auch dringend und müssen sie einbinden – wo sie denn in der Betreuung, die ja häufig auch interdisziplinär und multidimensional sein muss, Unterstützungsbedarfe sehen. Ein weiterer wichtiger Punkt des Projektes war es, den Übergang vom Kindes- und Jugendalter zum Erwachsenenalter zu begleiten. Hier sind wir dabei, strukturierte Programme zu entwickeln, um die Betroffenen bei diesem Übergang zu unterstützen und ihre Weiterversorgung zu sichern. Dieser Prozess ist aber sehr aufwendig und derzeit in der normalen Regelversorgung nicht abbildbar. Umso wichtiger sind solche Projekte, da sie zeigen, dass diese sog. Transitionsprogramme von unschätzbarem Wert für Betroffene und ihre Angehörigen und auf lange Sicht eben doch kosteneffizient sind. Insofern müssen sie mittelfristig in die Regelversorgung überführt werden.

Das USE ist auch in der Forschung breit aufgestellt. In welchen Bereichen liegt Ihre besondere Expertise?

Wie praktisch alle ZSEs fokussieren wir uns auf spezielle Krankheitsgebiete, auch wenn wir in unserer koordinierenden Funktion natürlich Ansprechpartner für alle Patienten sind. Am USE in Dresden konzentrieren wir uns zum einen auf Erkrankungen des Immunsystems. Gerade bei Kindern gibt es angeborene Immundefekterkrankungen, bei denen ein Teil des Immunsystems fehlt oder nicht vollständig funktionsfähig ist. Aber auch Fehlregulierungen des Immunsystems wie z. B. autoinflammatorische Erkrankungen oder Autoimmunerkrankungen gehören zu unserer Expertise; ein weiterer Schwerpunkt sind seltene angeborene Entwicklungsstörungen.

Gibt es Bereiche, in denen Sie besondere Forschungsfortschritte verzeichnen konnten?

In den eben genannten Bereichen forschen wir ganz aktiv daran, die Gene zu identifizieren, deren Fehlfunktion für die entsprechenden immunologischen Erkrankungen verantwortlich sind. Wir möchten herausfinden, an welcher Stelle der Signalweg zur Regulation des Immunsystems unterbrochen wird, um den Krankheitsmechanismus zu verstehen. Denn wenn man die Mechanismen versteht, kann man u. U. gezielt bestimmte Moleküle einsetzen, die diese fehlregulierten Signalwege „umprogrammieren“. Das hilft bei der Entwicklung ganz neuer Therapiekonzepte und kann Hinweise liefern, ob bereits zugelassene Medikamente, die vielleicht für ganz andere Zwecke entwickelt worden sind, hier zum Einsatz kommen können, weil deren Wirkmechanismus an der entsprechenden Stelle ansetzt.

Ein ganz wichtiger und oft vergessener Punkt dabei: Mit den Erkenntnissen, die wir anhand der Aufklärung seltener Krankheitsbilder gewinnen, können vielfach auch häufiger auftretende Erkrankungen und ihre Wirkmechanismen besser verstanden und Therapie- oder Präventionskonzepte entwickelt werden. Von der Forschung an seltenen Erkrankungen profitieren also am Ende sehr viel mehr Menschen als nur die Betroffenen selbst!

„Vernetzung und Kooperation von Expertinnen und Experten – das ist der Schlüssel!“

Sebastian Gemkow

Ein Gastbeitrag von Sachsens Wissenschaftsminister

Foto: Ben Bierig

Forscher und Ärzte arbeiten beständig daran, Diagnosen schneller und genauer stellen zu können und Behandlungsmöglichkeiten weiterzuentwickeln.

Die Fortschritte in der Biotechnologie und anderen Forschungsgebieten in der Medizin in den vergangenen Jahren tragen inzwischen Früchte und helfen Patienten mit Seltenen Erkrankungen heute viel besser als noch vor wenigen Jahren. Sachsen trägt seinen Teil dazu bei: Mit gleich zwei universitären Zentren für Seltene Erkrankungen. Neben dem UniversitätsCentrum für Seltene Erkrankungen am Uniklinikum „Carl Gustav Carus“ Dresden (USE) arbeiten Forscher und Ärzte auch am Universitären Zentrum für Seltene Erkrankungen Leipzig (UZSE Leipzig) beständig daran, Diagnosen schneller und genauer stellen zu können und Behandlungsmöglichkeiten weiterzuentwickeln. Der Schlüssel zum Erfolg ist aber nicht der technologische Fortschritt allein. Vielmehr ist es die Vernetzung und Kooperation mit Expertinnen und Experten verschiedenster Disziplinen und Professionen unter Einbindung von Patientennetzwerken und wiederum spezialisierten Zentren für unterschiedliche Erkrankungen. Der Vorteil: Mit der Vernetzung werden Erkenntnisse zusammengeführt und in Verbindung mit modernster Ausstattung in der Medizin-Technik neue Forschungsansätze generiert. Neues Wissen vervollständigt das Bild, das sich Ärztinnen und Ärzte von Seltenen Erkrankungen machen. Solange, bis es eines Tages komplett ist und damit Verlauf, Symptome, biologische, chemische und physikalische Abläufe der jeweiligen Erkrankung verstanden sind. Dieses Wissen kommt den Patientinnen und Patienten in der Versorgung unmittelbar zugute. Es verbessert die Lebensqualität mit der Erkrankung oder kann sogar heilen. Der Freistaat Sachsen unterstützt deshalb kontinuierlich mit Investitionen in die Universitätsmedizin.

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