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GENTHERAPIE BEI HÄMOPHILIE – Innovative Therapien müssen zu den Patienten gelangen

Foto: shutterstock 2431628475

Hämophilie ist eine seltene, erbliche Blutgerinnungsstörung. Ursache ist ein Mangel an Gerinnungsfaktor VIII (Hämophilie A) oder IX (Hämophilie B). Ohne diese Proteine gerinnt das Blut nicht richtig, was zu gefährlichen Blutungen in Gelenken, Muskeln oder Organen führen kann. Jahrzehntelang bestand die Standardtherapie darin, die fehlenden Faktoren regelmäßig zuzuführen. Dank dieser Prophylaxe können Patienten heute relativ normal leben. Doch die Belastung bleibt hoch. Gentherapien eröffnen nun eine deutlich höhere Lebensqualität.

Wir sprachen mit Christian Schepperle, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Hämophiler (IGH) e. V., warum die Gentherapie für die Hämophilie eine wichtige Therapieoption ist, für welche Patienten sie in Frage kommt, aber auch über die Hürden beim Zugang zu dieser wichtigen Behandlungsoption.

Entscheidend ist, dass Patienten Zugang erhalten – ohne Verzögerungen, mit klarer Unterstützung durch Ärzte und Krankenkassen.

Christian Schepperle

Geschäftsführer der IGH e. V.

Foto: IGH e. V.

Herr Schepperle, was unterscheidet die Gentherapie von der klassischen Behandlung?

Die klassische Faktortherapie erfordert regelmäßige Infusionen, oft zwei- bis dreimal pro Woche. Das ist aufwendig und schränkt den Alltag ein.

Wie funktioniert die Gentherapie stattdessen?

Sie wird einmalig verabreicht. Über sogenannte AAV-Viren gelangt der Bauplan für den fehlenden Gerinnungsfaktor in die Leberzellen. Diese können dann selbst den Faktor herstellen.

Was bedeutet das für Betroffene?

Sie sind besser vor Blutungen geschützt, auch vor kaum spürbaren Mikroblutungen. Gleichzeitig entfällt die ständige Faktorgabe. Reisen, Arbeit und Freizeit lassen sich viel spontaner gestalten.

Für wen ist die Therapie geeignet?

Derzeit für Erwachsene ab 18 Jahren mit schwerer Hämophilie und stabiler Leberfunktion. Sie dürfen keine Antikörper gegen Faktoren oder die eingesetzten Viren haben.

Wie groß ist das Interesse?

Sehr groß. Viele informieren sich bei Veranstaltungen, in Fachzentren oder über Medienberichte.

Warum wurden bisher so wenige Patienten behandelt?

Obwohl seit über zwei Jahren zugelassen, sind es in Deutschland weniger als zehn. Grund sind Verzögerungen bei Zulassungsschritten, Preisverhandlungen und organisatorische Unsicherheiten.

Gab es auch Probleme mit den Krankenkassen?

Ja. Manche Kassen erklärten die Therapie für unwirtschaftlich und verzögerten Anträge. Das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) hat in ihrem gerade veröffentlichten Jahresbericht klargestellt, dass solche Ablehnungen nicht zulässig sind. Demnach ist unser Verständnis, dass der Arzt diese Gentherapien einfach verordnen kann, und die Krankenkassen nicht vorher informieren oder um Genehmigung bitten muss.

Und trotzdem kommt es immer noch zu Verzögerungen bei der Therapie-Genehmigung?

Ja. Einige Krankenkassen versuchen nach Antragsstellung durch den Arzt ein langwieriges Prüfverfahren anzustoßen und auf Zeit zu spielen.

Wir konnten über die letzten zwei Jahre feststellen, dass besonders die Allgemeinen Ortskrankenkassen und die Techniker Krankenkasse sehr zurückhaltend sind, wenn es um die Genehmigung der Anträge geht.

Wie haben Ärzte darauf reagiert?

Einige zögerten, Patienten zu informieren oder überhaupt Anträge zu stellen. Nach der BAS-Entscheidung sind sie aber abgesichert. Dennoch fehlt vielerorts die aktive Aufklärung.

Welche Rolle spielen die Kosten?

Auf den ersten Blick sind sie hoch. Doch eine Faktortherapie verursacht jährlich 150.000 bis 250.000 Euro. Über ein Leben summiert sich das auf Millionen. Gentherapie kann langfristig sogar günstiger sein – und Folgeschäden vermeiden.

Welche Folgen haben Verzögerungen für Patienten?

Vor der Therapie muss eine AAV-Testung erfolgen. Liegt zu viel Zeit dazwischen, können Antikörper entstehen. Dann ist eine Behandlung nicht mehr möglich. Wir kennen bereits tragische Fälle.

Welche Belastungen bestehen bei der bisherigen Therapie?

Regelmäßige Infusionen sind ein erheblicher Eingriff in den Alltag – sowohl für Erwachsene als auch für Eltern betroffener Kinder. Die einmalige Gentherapie bedeutet hier einen enormen Zugewinn an persönlicher Freiheit.

Was raten Sie Patienten, die auf Hindernisse stoßen?

Sie sollten Anträge konsequent stellen lassen und sich nicht entmutigen lassen. Bei Ablehnung ist ein Eilantrag beim Sozialgericht möglich. Wir unterstützen dabei.

Wie wichtig ist die Lebensqualität in der Bewertung neuer Therapien?

Sehr wichtig. Doch in den alten Bewertungsbögen des G-BA wird sie kaum berücksichtigt. Wir fordern, dass dieser Faktor stärker in Entscheidungen einfließt.

Welche nächsten Schritte sind nötig?

Die Gentherapie ist zugelassen und ihr Zusatznutzen ist erwiesen. Ärzte müssen Patienten jetzt aktiv darüber informieren. Patienten brauchen neutrale Beratung. Außerdem müssen Strukturen für Durchführung und Nachsorge geschaffen werden.

Welche Rolle spielt der Erfahrungsaustausch?

Eine große. Wir haben eine Fokusgruppe gegründet, in der bereits behandelte Patienten ihre Erfahrungen weitergeben. So können Interessierte realistisch abwägen – ohne Druck, sondern durch echte Information.

Wie lautet Ihr aktuelles Fazit?

Die Gentherapie ist ein Meilenstein in der Behandlung von Hämophilie B. Sie bietet medizinischen Fortschritt und neue Lebensqualität. Entscheidend ist, dass Patienten Zugang erhalten – ohne Verzögerungen, mit klarer Unterstützung durch Ärzte und Krankenkassen.



Die Interessengemeinschaft Hämophiler e. V. ist ein bundesweit tätiger Patientenverband, der die Interessen der an einer angeborenen Blutungskrankheit leidenden Menschen und ihrer Angehörigen vertritt.

Informieren Sie sich weiter auf der Webseite der Interessengemeinschaft Hämophiler e. V. unter: www.igh.info

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