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Forschung

Neue Hoffnung: Gentherapie bei Sichelzellkrankheit und transfusionsabhängiger Beta-Thalassämie

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Die Gentherapie bietet neue und vielversprechende Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit Sichelzellkrankheit (SCD) und transfusionsabhängiger Beta-Thalassämie (TDT), zwei schweren, vererbten Bluterkrankungen. Wir sprachen mit Prof. Dr. Roland Meisel vom Universitätsklinikum Düsseldorf über die Chancen dieser neuen Behandlungsmöglichkeit.

Eine erfolgreiche Gentherapie heißt also auch eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität und eine Planbarkeit, die sonst unmöglich wäre.

Prof. Dr. Roland Meisel
Stellvertretender Klinikdirektor, Leiter des Bereichs Pädiatrische Stammzelltherapie, Universitätsklinikum Düsseldorf

Foto: Universitätsklinikum Düsseldorf, Unternehmenskommunikation

Gentherapien werden von Experten als eine neue Ära der Medizin angesehen. Können Sie uns kurz erklären, was eine Gentherapie ist und was sie so besonders macht?

Das Wirkprinzip von Gentherapien ist eine Veränderung der Erbinformationen, die den Bauplan für unseren gesamten Körper darstellen und auch als Gene bezeichnet werden. Wenn – wie bei angeborenen Bluterkrankungen – ein Teil dieses Bauplans gestört ist, kann über die Gentherapie entweder eine korrigierte Version des betroffenen Gens eingeschleust oder die Erbinformation durch sogenannte Geneditierung zielgerichtet verändert werden. Gentherapien verfolgen das Ziel, durch eine einmalige Behandlung die wesentlichen Symptome der Erkrankungen erheblich zu mindern oder gar zu beseitigen – und das dauerhaft.

Seit einem Jahr ist die erste Gentherapie für Patienten mit schwerer Sichelzellkrankheit und transfusionsabhängiger Beta-Thalassämie in der EU zugelassen. Welche Hoffnungen sind damit verbunden?

Bei beiden angeborenen Erkrankungen ist der Bauplan für den roten Blutfarbstoff Hämoglobin gestört. Bei der transfusionsabhängigen Beta-Thalassämie ist die Folge, dass kein reifes, sogenanntes „erwachsenes“ Hämoglobin gebildet wird. Bei der Sichelzellkrankheit wird dieses zwar gebildet, ist aber in seinen Eigenschaften stark verändert, was zu häufigen Verstopfungen von Blutgefäßen führt.

Patienten mit TDT sind dadurch in der Regel ab dem ersten oder zweiten Lebensjahr lebenslang auf regelmäßige Bluttransfusionen angewiesen. Patienten mit schwerer SCD erleiden häufig krisenhafte Schmerzattacken und Durchblutungsstörungen lebenswichtiger Organe. Die neu verfügbare Gentherapie zielt darauf ab, die Bildung des frühkindlichen, sogenannten fetalen Hämoglobins, das Babys im Mutterleib und Säuglinge perfekt mit Sauerstoff versorgt, zu reaktivieren.

Damit soll das fehlende erwachsene Hämoglobin beziehungsweise seine gestörte Funktion ersetzt und so die wesentlichen Symptome beider Erkrankungen minimiert oder eliminiert werden.

Wie wurden die beiden Erkrankungen bisher behandelt?

Die konventionelle Therapie bei der Beta-Thalassämie besteht aus Bluttransfusionen, die lebenslang alle drei bis vier Wochen erfolgen müssen. Zusätzlich müssen Medikamente eingenommen werden, um eine aus den Transfusionen resultierende Eisenüberladung mit schweren Organschäden zu vermeiden.

Bei der Sichelzellkrankheit fokussiert sich die Therapie auf die symptomatische Behandlung, zum Beispiel der schweren Schmerzkrisen mit Schmerzmitteln. Zudem kann ein Medikament verabreicht werden, das die Häufigkeit von Schmerzkrisen und Verstopfungen von Blutgefäßen reduzieren kann. Außerdem können – gerade im Notfall – Blutaustauschtransfusionen zum Einsatz kommen. All dies sind aber keine Maßnahmen, die den Patienten langfristig heilen, es geht primär um die Symptomkontrolle.

Zudem muss deutlich gesagt werden: Auch Patienten, die diese konventionelle Therapie vorbildlich durchführen, haben eine gegenüber Gesunden verkürzte Lebenserwartung, da im Laufe der Zeit chronische Organschäden entstehen. Die bisher einzige Möglichkeit, die abgesehen von der Gentherapie auf eine Heilung abzielt, ist die Transplantation von blutbildenden Stammzellen eines gut passenden Spenders. Diese Behandlungsmöglichkeit ist aber durch die eingeschränkte Verfügbarkeit passender Spender sowie Risiken von Immunreaktionen zwischen Spender und Patient limitiert. Die Gentherapie hat den großen Vorteil, dass kein Spender notwendig ist und auch keine Risiken aus den oben genannten Immunreaktionen bestehen.

Wie wirkt sich eine erfolgreiche Gentherapie auf die Lebensqualität der Betroffenen aus?

Für einen Thalassämie-Patienten bedeutet es in erster Linie Freiheit in der täglichen Lebensplanung, da er nicht mehr alle drei bis vier Wochen zur Transfusion erscheinen muss. Auch die Medikamente zur Kontrolle der Eisenüberladung sind dann voraussichtlich nicht mehr nötig. Das ist ein riesiger Zugewinn an Unabhängigkeit und Lebensqualität und eröffnet völlig neue Perspektiven in der Lebensplanung und damit Selbstbestimmung.

Für Sichelzellpatienten heißt es, dass die plötzlich und völlig unerwartet auftretenden Schmerzkrisen, die Betroffene von jetzt auf gleich komplett aus dem Alltag reißen, deutlich reduziert oder eliminiert werden. Eine erfolgreiche Gentherapie heißt also auch für sie eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität und eine Planbarkeit, die sonst unmöglich wäre.

Was möchten Sie Betroffenen mit auf den Weg geben?

Betroffenen möchte ich empfehlen, so früh wie möglich Experte ihrer eigenen Erkrankung zu werden. Informieren Sie sich, mit welchen Maßnahmen man die Erkrankung möglichst von Beginn an optimal behandeln kann, wie die Stammzelltransplantation und die Gentherapie funktionieren, welche Chancen sie bieten und welche Limitationen sie haben.

Lassen Sie sich in einem spezialisierten Zentrum beraten, das viel Erfahrung in der Behandlung dieser Erkrankungen hat, und auch über die neuesten Behandlungsoptionen gut Bescheid weiß.

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