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Die Alpha-Mannosidose ist eine seltene Erkrankung, die zu den sogenannten lysosomalen Speicherkrankheiten gehört. Durch eine Störung in den Lysosomen, die für den Abbau von Zuckerketten zuständig sind, sammeln sich diese an und können für erheblichen Schaden im Körper der betroffenen Patienten sorgen. Wie die Erkrankung diagnostiziert und behandelt werden kann, erläutert die Kinderneurologin Dr. Christina Lampe.

Dr. med. Christina Lampe

Oberärztin der Kinderneurologie und Sozialpädiatrie am Universitätsklinikum Gießen

Erstsymptome 

Welcher Kinderarzt kennt das nicht? Im Arbeitsalltag werden hauptsächlich Kinder mit Infektionserkrankungen behandelt: Erkältungen, Mandelentzündungen, Bronchitis, Lungenentzündungen, Ohrinfekte und gastrointestinale Infekte sind die gängigsten Kinderleiden. Die Begründungen sind meist die gleichen:

„Es ist Infektzeit.“

„Das Kind ist ja gerade in den Kindergarten gekommen.“

„Die Geschwister müssen den Infekt aus der Schule mitgebracht haben.“

„Das Kind ist einfach anfällig für Infekte.“

„Vielleicht sind ja Polypen daran schuld, dass das Kind nicht durch die Nase atmen kann.“

„Die Mandeln müssen verkleinert werden, die sind eine Infektquelle.“

Sicherlich sind dies alles durchaus plausible Erklärungen. Was aber, wenn die Infekte deutlich häufiger oder schwerer verlaufen als üblich? Was beispielsweise, wenn das Kind etwas anders aussieht als die anderen Familienmitglieder?

„Das Kind sieht aus wie der Onkel dritten Grades mütterlicherseits oder die Cousine des Großvaters väterlicherseits.“

Auch Entwicklungsverzögerungen und Hörstörungen finden häufig gute Erklärungen:

„Das Kind ist ein Spätzünder – sein Vater war auch so.“

„Das Kind hat so viele Infekte, da kommt es eben irgendwann zu einem Hörverlust.“

Gewöhnliche Beschwerden, gute Erklärungen für ihre Präsenz, zu viele Kinder mit derselben Problematik—die Krux des Kinderarztes ist es, aus diesen unspezifischen Symptomkombinationen die Kinder herauszufiltern, die möglicherweise als Ursache eine seltene Erkrankung haben. Und genau das macht die frühe Diagnose einer seltenen Erkrankung so schwierig—die Erstsymptome sind meist unspezifisch, typische „Allerweltssymptome“. Auch sind die Krankheitsverläufe von sehr früh beginnend und rapide verlaufend bis eher spät beginnend und langsam im Verlauf möglich. Zudem zeigt nicht jeder Patient mit derselben Erkrankung auch dieselben Symptome in gleicher Ausprägung. Dies macht seltene Erkrankungen zu wirklichen Krankheitschamäleons und Verzögerungen in der Diagnose sind häufig. Die Familien haben oft eine jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, bis eine Diagnose gestellt wird.

Die lysosomale Speichererkrankung Alpha-Mannosidose

Im obigen Beispiel werden die typischen Erstsymptome einer Alpha-Mannosidose genannt: wiederkehrende Infekte der Atemwege und der Ohren, Hörstörung, anderes Aussehen und/oder Entwicklungsverzögerung. Zwar ist eine Heilung bislang nicht möglich, aber durch eine entsprechende Therapie kann die Erkrankung verlangsamt oder sogar gestoppt werden.

Die Alpha-Mannosidose ist mit 1:1.000.000 extrem selten, wobei die Angaben jedoch variieren. Es sind drei Verlaufsformen beschrieben, jedoch sind alle Zwischenstufen möglich:

Typ 1: Milde Form- Juveniler Onset (10. Lebensjahr), sehr langsamer Verlauf, ohne Skelettbeteiligung

Typ 2: Moderate Form- Juveniler Onset (vor dem 10. Lebensjahr), langsamer Verlauf mit Skelettbeteiligung und Entwicklung einer Ataxie im Alter von 20 bis 30 Jahren

Typ 3: Schwere Form- Infantile Form (sofortiger Beginn) mit schwerer Beteiligung des zentralen Nervensystems, des Skelettes und frühem Tod.

Am häufigsten ist der Typ 2.

Weitere Symptome einer Alpha-Mannosidose sind Infekte durch eine Immunschwäche, frühzeitige kombinierte Hörstörung, vergröberte Gesichtszüge, Schielen (Strabismus) und Weitsichtigkeit (Hyperopie).

Die Skelettveränderungen werden auch als Dysostosis multiplex bezeichnet und zeigen typische Skelettdeformitäten wie beispielsweise Wirbelkörperveränderungen und Hüftgelenksdysplasie. Eine kognitive Beteiligung kann von einer sehr milden bis zu einer schweren mentalen Entwicklungsverzögerung reichen. Die Kinder zeigen oft eine motorische Entwicklungsverzögerung mit Ungeschicklichkeit und Ataxie, welche sich zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr verschlechtert. Auch verschiedenste psychiatrische Symptome sind nicht ungewöhnlich. Herz und Niere sind im Gegensatz hierzu nicht betroffen.

Viele Symptome überlappen sich mit den Mukopolysaccharidosen und den Mukolipidosen. Rein aufgrund des klinischen Aspektes ist eine Diagnosestellung somit nicht möglich. Die Erstsymptome sind allerdings die gleichen.

Diagnostik

Die Diagnostik ist mittlerweile recht einfach. Der Nachweis erhöhter Ausscheidungsprodukte bestimmter Stoffe im Urin kann einen ersten Hinweis auf Speichererkrankungen geben: Die erhöhte Ausscheidung von Oligosacchariden im Urin beispielsweise kann ein Hinweis auf eine Alpha-Mannosidose sein. Sensitiver ist jedoch ein einfacher Trockenbluttest (Filterpapiertest), mit dem einige Formen der Speichererkrankungen wie die Alpha- Mannosidose (in Erprobung) nachgewiesen werden können. Die hohe Sensitivität des Trockenbluttests kann jedoch irrtümlich positive Ergebnisse zeigen. Der Goldstandard der Diagnostik ist demnach die Enzymaktivitätsmessung in Leukozyten oder Fibroblasten. Eine genetische Analyse kann die Diagnose dann bestätigen und ist für die Pränataldiagnostik bedeutend.

Therapie

Für die Alpha-Mannosidose gibt es eine Enzymersatztherapie. Bei dieser werden dem Patienten einmal wöchentlich gentechnisch hergestellte Enzyme als Infusion über mehrere Stunden intravenös zugeführt. Dies führt beispielsweise zu einer Abnahme der Oligosaccharide im Blut, einer Stärkung der Fein- und Grobmotorik, der Mobilität, der Ausdauer und der Lebensqualität – gerade bei Kindern also zu einer deutlichen Verbesserung der Krankheit, bei älteren Patienten zu einer Stabilisierung. Es versteht sich von selbst, dass bei fortschreitenden Erkrankungen der Therapieerfolg am höchsten ist, je früher mit der Therapie begonnen wird—im besten Fall, bevor irreversible Organschäden entstanden sind. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb die frühe Diagnose so wichtig ist. Eine Beschränkung der Enzymersatztherapie (ERT) ist, dass sie die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren kann und somit bei Patienten mit Störungen des zentralen Nervensystems keine Verbesserung ihrer kognitiven Fähigkeiten zeigt.

Bedeutung von Zentren für seltene Erkrankungen

Ein Zentrum für seltenene Erkrankungen kann niemals eine Expertise für alle bislang bekannten 6.000 bis 8.000 seltenen Erkrankungen haben. Ihre Aufgabe ist es, die Patienten in ein geeignetes Zentrum zu empfehlen, das auf die verschiedenen Erkrankungsgruppen spezialisiert ist. Dort können die Patienten dann in optimaler Weise betreut und behandelt werden.

Unser Schwerpunkt im Zentrum für Seltene Erkrankungen Gießen (ZSEGi) sind lysosomale Speichererkrankungen, neuromuskuläre Erkrankungen, Epilepsien und weitere kinderneurologische Erkrankungen ohne Altersbegrenzung.

Auch wenn bei einer Erkrankung keine kausale Therapie verfügbar ist: Eine Diagnose ist für die Patienten und deren Angehörige von extremer Bedeutung. Die Erkrankung braucht „einen Namen“. Dies ermöglicht neben einer fachgerechten symptomatischen Behandlung in einem Expertenzentrum auch die Möglichkeit, sich über neue Therapieansätze zu informieren und sich an eine Patientenorganisation anzubinden, um einen wertvollen Erfahrungsaustausch beginnen zu können. Auch für die Familienplanung ist die Diagnose einer angeborenen Erkrankung von entscheidender Bedeutung.

Literatur

GMalm D1 et al.,
Alpha-mannosidosis, 
Orphanet J Rare Dis. 2008 Jul 23;3:21 

Ceccarini MR1 et al., 
Alpha-Mannosidosis: 
Therapeutic Strategies,
Int J Mol Sci. 2018 May 17;19(5)

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