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Krankheitsbilder

ATTR-Amyloidose: Eine lebensbedrohliche Multisystemerkrankung

Foto: Yurchanka Siarhei via Shutterstock

Bei der hereditären ATTR-Amyloidose handelt es sich um eine seltene, autosomal-dominant vererbte Erkrankung, bei der durch verschiedene Mutationen im TTR-Gen abnorme Transthyretin-Varianten gebildet werden. Über Diagnostik und Therapie sprachen wir mit PD Dr. med. Katrin Hahn im Interview.

PD Dr. med. Katrin Hahn

Oberärztin der Klinik für Neurologie und Experimentelle Neurologie der Charité Berlin und Sprecherin des Amyloidosis Center Charité Berlin (ACCB)

Die ATTR-Amyloidose ist nicht leicht zu diagnostizieren. Wie macht sich die Erkrankung bemerkbar und was erschwert die Diagnose?

Die hereditäre Transthyretin-Amyloidose ist eine lebensbedrohliche Multisystemerkrankung und macht sich ganz vielfältig bemerkbar. Je nachdem was für ein Genotyp, also was für eine Mutation, im Patienten vorliegt, dominiert eine unterschiedliche Organbeteiligung. Das kann das Herz sein, das periphere Nervensystem, der Gastrointestinaltrakt, das können aber in seltenen Fällen auch die Augen sein. Kurzum: Die Vielzahl der Symptome, mit der sich die Erkrankung präsentieren kann, macht das klinische Spektrum sehr breit und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Patienten von verschiedenen Fachdisziplinen gesehen, aber aufgrund der unspezifischen Symptome eben auch übersehen werden. Die ATTR-Amyloidose ist quasi wie ein Chamäleon, mit relativ vielen Manifestationen, die sich durch den Systemcharakter der Erkrankung ergeben. Wenn man versucht zu extrahieren, was in der Vielfalt am häufigsten ist, dann ist es neben der neurologischen Mitbeteiligung vor allem das Herz. Neurologisch präsentieren sich die Patienten mehrheitlich in Form einer relativ rasch progredienten Polyneuropathie, die initial mit Missempfindungen oder Schmerzen starten kann, im Verlauf aber mehrheitlich zu Lähmungserscheinungen führt. Die Patienten haben zusätzlich oft ein Karpaltunnelsyndrom, was dadurch zustande kommt, dass sich das Transthyretin-Amyloid häufig im Ligamentum carpi transversum einlagern kann und dann zu Druck auf den Nerven führt. Auf das Herz bezogen entwickeln Patienten im Verlauf typische Symptome einer Herzmuskelschwäche. Sie klagen dabei über eine verminderte Belastbarkeit, Luftnot und berichten häufig über Schwindel bei Lagerungsänderung.

Wie lange dauert es durchschnittlich bis zur Diagnose?

In Ländern, wo die Erkrankung endemisch ist, wie zum Beispiel in Portugal, hat man aufgrund der Häufigkeit ein gutes Auge für die Symptome. In anderen Ländern, wo die Erkrankung sporadisch und damit sehr selten ist, sind es durchschnittlich fünf bis acht Jahre oder mehr bis zur Diagnosestellung. Deutschland gehört dazu. Hierzulande schätzt man, dass circa 400 bis 450 Patienten mit einer hATTR-Amyloidose diagnostiziert sind.

Warum ist eine möglichst frühe Diagnose entscheidend für Betroffene?

Mittlerweile stehen uns relativ viele therapeutische Optionen zur Verfügung und wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit des therapeutischen Ansprechens umso größer ist, je früher wir mit einer Therapie beginnen.

Wie wird die Erkrankung derzeit behandelt?

Die uns zur Verfügung stehenden Medikamente verfolgen unterschiedliche mechanistische Ansätze.  Eine Möglichkeit ist, die Bildung des mutierten Transthyretin in der Leber maßgeblich zu unterdrücken. Hierfür stehen uns neue Substanzen zur Verfügung, die eine sogenannte Antisense-Strategie oder das Prinzip der RNA-Interferenz nutzen. Das älteste Verfahren, die TTR-Bildung in der Leber zu unterdrücken, ist die Lebertransplantation, die aufgrund von besser verträglichen Alternativen immer seltener zum Einsatz kommt. Ein anderer Therapieansatz fokussiert darauf, das instabile mutierte Transthyretin, was in Form einer Tetramerstruktur vorliegt, zu stabilisieren. Auch wenn die neuen Therapien einen großen Fortschritt bewirkt haben, ist eine Heilung der Erkrankung zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich.

Wie bei vielen seltenen Erkrankungen sind Spezialisten aus verschiedenen medizinischen Fachbereichen gefragt, um die Erkrankung zu erkennen und zu behandeln. Können Sie uns daher mehr zur Arbeit am Amyloidosis Center Charité Berlin (ACCB) erzählen?

Das ACCB hat sich tatsächlich genau mit diesem Gedanken, dass es sich bei Amyloidosen um Systemerkrankungen handelt und die Expertise sehr vieler Fachrichtungen benötigt wird, gegründet. Da waren neben den Kardiologen dann auch Neurologen, Nephrologen und Hämatologen involviert. Seitdem sind wir stetig gewachsen und das Team beinhaltet auch Kolleginnen und Kollegen der diagnostischen Fächer wie der Radiologie, Nuklearmedizin, Pathologie und der Neuropathologie. Aber auch Spezialisten vieler weiterer Fachdisziplinen sind involviert, die bei Patienten mit Amyloidose benötigt werden. Das betrifft Kollegen aus der Chirurgie, Gastroenterologie, Rheumatologie, Augenheilkunde und Schmerztherapie. Unser Ziel ist es, Patienten mit diesen Erkrankungen aufzuklären, bestmöglich interdisziplinär zu behandeln und das Feld wissenschaftlich weiter voranzutreiben.

Sie möchten mehr erfahren?

Weitere Informationen finden Sie unter www.amyloidosis-center.charite.de

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