Die systemische Mastozytose ist eine seltene, oft unterschätzte Erkrankung, die das Leben der Betroffenen stark beeinflussen kann. Die Symptome sind vielfältig – was die Diagnose oft erschwert. Wir sprachen mit dem Experten PD Dr. Frank Siebenhaar: Im Interview erklärt er, wie sich die Erkrankung zeigt, warum eine frühe Diagnose so entscheidend ist – und warum man trotz allem nicht in Panik verfallen sollte, wenn einzelne Symptome auftreten.
Seit dem vorvergangenen Jahr können wir die Ursache der Erkrankung nun endlich therapeutisch am Schopfe packen.

PD Dr. Frank Siebenhaar
Oberarzt am Interdisziplinären Mastozytose Centrum des Instituts für Allergieforschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Foto: Charité Berlin
Die systemische Mastozytose ist eine seltene Erkrankung, die durch die unkontrollierte Vermehrung von Mastzellen verursacht wird. Was passiert dabei im Körper Betroffener?
Mastzellen sind Teil unseres Immunsystems und entstehen im Knochenmark. Sie kommen in bestimmten Gewebearten vor, die uns zu unserer Außenwelt abgrenzen: In der Haut, im Magen-Darm-Trakt, in den Atemwegen. Wir gehen davon aus, dass sie eine Rolle in der Abwehr von Krankheitserregern und der Regulation von Entzündungsprozessen spielen, aber auch bei der Entstehung von allergischen Reaktionen. Bei Allergikern schütten diese Mastzellen Allergie- und Entzündungsstoffe aus, die dann die allergische Reaktion befeuern. Menschen mit Mastozytose haben zu viele dieser Mastzellen im Körper, da sie eine erworbene genetische Veränderung haben. Mastozytose wird im Regelfall nicht vererbt, es handelt sich um eine klonale Erkrankung: Betroffene bilden einen sog. „Stammzell-Klon“, sodass im Knochenmark vermehrt Mastzell-Vorläufer gebildet werden, die in den genannten Gewebearten zu vollständigen Mastzellen heranreifen. Diese Genmutation sitzt meist im KIT-Rezeptor. Bei gesunden Mastzellen funktioniert der KIT-Rezeptor wie ein Schloss, das nur durch den passenden Schlüssel aktiviert wird. Bei Mastozytose ist dieses Schloss durch die Mutation dauerhaft geöffnet. Dadurch teilen sich die Mastzellen unkontrolliert und sammeln sich vermehrt im Körper an. Mastozytosen der Haut können auch im Kindesalter auftreten, sind dann aber harmlos und verschwinden meist von selbst. Im Erwachsenenalter sind sie fast immer systemisch und werden klinisch unterteilt in aggressive und nicht aggressive Formen.
Welche Symptome können auf eine systemische Mastozytose hindeuten – und wie kann sich dies im Alltag der Betroffenen äußern?
Das Hauptsymptom sind Veränderungen der Haut: kleine rot-bräunliche Flecken, die überall am Körper auftreten können. Wenn auf diesen Flecken Reibung geschieht, werden die Mastzellen aktiviert: Es entstehen Rötungen, Quaddeln, die Stellen beginnen, stark zu jucken. Betroffene finden nachts keinen Schlaf, haben Konzentrationsprobleme und sind im Alltag aufgrund der sichtbaren Hautveränderungen mit Stigmatisierung konfrontiert. Es können aber auch Beschwerden im Magen-Darm-Trakt wie Bauchkrämpfe und chronische Durchfälle auftreten. Betroffene müssen dann bis zu 15mal am Tag zur Toilette und halten unterwegs immer nach der nächsten Toilette Ausschau. Da häufig auch junge Patienten betroffen sind, richten sie teils ihre Berufswahl nach der Erkrankung aus, manche sind nicht voll erwerbstätig. Auch atypische Osteoporosen im eher jüngeren Alter können auftreten, da die zu große Anzahl der Mastzellen auch die Knochenbildung stört. Zudem sollte bei Patienten mit schwersten Anaphylaxien aufgrund von Allergien immer auch an eine Mastozytose gedacht werden. Interessanterweise haben Menschen mit Mastozytose sehr häufig eine Insektengiftallergie, was sie zu „Super-Allergikern“ macht, sodass eine Anaphylaxie schlimmstenfalls bis zum Kreislaufkollaps und Tod führen kann. Sie leben mit der ständigen Angst, dass die nächste allergische Reaktion sie das Leben kosten könnte.
Das alles sind massive Einschränkungen der Lebensqualität, da sich oft der gesamte Alltag den Beschwerden unterordnet. Die meisten Betroffenen haben eine nicht aggressive Mastozytose, deren Symptome aber trotzdem extrem belastend sein können. Zehn bis 15 Prozent haben eine aggressive Form, bei der die Mastzellen auch weitere Organe infiltrieren und deren Funktion beeinträchtigen. Diese aggressiven Formen können lebensbedrohlich werden. Die Erkrankung hat also ein breites Spektrum, daher vermuten wir eine hohe Dunkelziffer. Es ist also sehr wichtig, dass das Krankheitsbild Medizinern aller Fachbereiche bekannt ist.
Eine Diagnose ist also oft nicht leicht zu stellen. Wie wird die systemische Mastozytose diagnostiziert?
Bei den typischen Veränderungen der Haut ist eine Diagnose recht einfach zu stellen. Wenn keine Hautveränderungen zu sehen sind, können verschiedene Biomarker auf die Mastozytose hinweisen.
Das ist z. B. der Tryptasewert im Blut, den auch ein Hausarzt untersuchen lassen kann. Bei 85% der Betroffenen ist dieser Wert deutlich erhöht. Wir kennen aber auch Patienten, die niedrige Werte aufweisen und trotzdem eine Mastozytose haben, daher ist dieser Wert allein oft nicht aussagekräftig. Wenn also in Kombination mit erhöhten Mastzellwerten solche unklaren Symptome oder Beschwerden auftreten, die ich vorab erwähnt habe, dann sollte eine genetische Analyse der KIT-Mutationslast erfolgen. Diese Testung ist so sensibel, dass die Diagnose mit über 98%iger Sicherheit gestellt werden kann. Bei all dem sollte man die Seltenheit der Mastozytose aber nie vergessen: beim Großteil der Patienten, bei denen eine Mastzellerkrankung vermutet wird, liegt mit großer Wahrscheinlichkeit keine vor. Und die Patienten, die tatsächlich eine systemische Mastozytose haben, können wir behandeln.
Wie wird die Krankheit behandelt und lässt es sich damit gut leben?
Bisher konnte man auf Antiallergika, Antihistaminika, Cortison oder Adrenalin im absoluten Notfall zurückgreifen. Zudem gab es für schwer betroffene Patienten sogenannte Tyrosinkinasehemmer, die aber zu unspezifisch wirkten und starke Nebenwirkungen auslösten. Seit dem vorvergangenen Jahr können wir die Ursache der Erkrankung endlich therapeutisch am Schopfe packen, da wir nun eine Möglichkeit haben, das spezifische KIT der mutierten Mastzellen zu hemmen.
Wir führen dem Körper über ein Medikament also den fehlenden Schlüssel für das Schloss zu, das sonst permanent geöffnet war. Dadurch nehmen wir dem Feuer, das die Mastzellen dazu bringt, sich zu vermehren, das Brennmaterial. Die überzähligen Mastzellen „verhungern“, der Tryptasewert und die Mutationslast sinken. Damit erleben Patienten eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität und können wieder ein normales Leben führen. Und den Patienten mit einer aggressiven Form rettet diese Behandlung das Leben. Die Behandlung der Mastozytose war noch nie so wirksam möglich wie heute.
Wo finden Betroffene Spezialisten, die mit dieser seltenen Erkrankung vertraut sind?
Entweder kennt der diagnostizierende Arzt bereits eine Anlaufstelle, oder der Patient kann sich selbst informieren. Es gibt das „Kompetenznetzwerk Mastozytose e. V.“, das auf der Website über die größten Zentren informiert. Zudem kann man sich über die zwei Patientennetzwerke „Mastozytose Selbsthilfe Netzwerk e. V.“ und „Selbsthilfeverein Mastozytose e. V.“ informieren, die ebenfalls eine Auflistung der Experten zusammengestellt haben. Aber auch die allergologischen, dermatologischen und hämatologischen Zentren der Universitätsklinika sind geeignete Anlaufstellen.
Weitere Informationen finden Sie hier!
Kompetenznetzwerk Mastozytose e. V.:
www.mastozytose.net
Mastozytose Selbsthilfe Netzwerk e. V.:
www.mastozytose-info.de
Selbsthilfeverein Mastozytose e. V.:
www.mastozytose.de