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Krankheitsbilder

Die rätselhafte Schlafkrankheit Narkolepsie

Foto: Photographee.eu/Shutterstock

Im Interview spricht Dr. Kallweit über den aktuellen Stand der Therapiemöglichkeiten und ein neues Behandlungsangebot.

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Dr. Ulf Kallweit

Direktor des Instituts für Schlafmedizin an der Universität Witten/Herdecke, Klinische Schlaf- und Neuroimmunologie

Was ist Narkolepsie, wie entsteht sie und vor allem wie äußert sie sich?

Narkolepsie ist eine chronische neurologische Erkrankung. Nach heutigem Wissensstand geht man von einem immun-vermittelten Mechanismus aus, bei dem sowohl genetische Faktoren als auch Umwelteinflüsse, wie bestimmte Infektionen, gemeinsam eine Rolle spielen. Am Ende einer fehlgeleiteten Immunreaktion steht der Untergang von Hypocretin produzierenden Zellen im Gehirn. Hypocretin spielt unter anderem eine wesentliche Rolle bei der Regulation und Aufrechterhaltung von Wachheit und Schlaf.

Bei Narkolepsie können verschiedene Symptome auftreten, wobei zwei zentral sind: Tagesschläfrigkeit und sogenannte Kataplexien.
Tagesschläfrigkeit besteht bei allen Betroffenen, die anderen Symptome variieren in der Häufigkeit des Auftretens.
Die Tagesschläfrigkeit ist abzugrenzen von Müdigkeit, da es sich hierbei um ein täglich bestehendes und vor allem unwiderstehliches Schlafbedürfnis handelt, das unter Umständen zu Einschlafattacken führt.

Bei einer Kataplexie kommt es zu einem attackenartig und emotional ausgelösten Verlust der Muskelanspannung. Beispielhaft kommt es beim Lachen zu einem Herabsinken des Kopfes, des Kiefers oder „weichen“ Knien. Eine vollständige Kataplexie kann zum Sturz führen. Verschiedene Emotionen können dabei auslösend sein.

Eine Heilung der Erkrankung ist bisher nicht möglich.

Weitere Symptome sind Halluzinationen (in der Regel als traumartige Bilder beziehungsweise Erlebnisse, die in der Einschlaf- oder Aufwachphase auftreten) und Schlaflähmungen. Schlaflähmungen treten häufig im Übergang von Schlaf zu Wachheit auf und äußern sich in einer vollständigen Unfähigkeit, sich zu bewegen, obwohl Wachheit vorliegt. Auch besteht bei vielen Narkoleptikern ein gestörter Nachtschlaf mit häufigem Erwachen und zum Teil längeren Wachzeiten in der Nacht.

Wie ist der aktuelle Stand der Behandlung und Therapie?

Eine Heilung der Erkrankung ist bisher nicht möglich. Die Symptome können aber durch wirksame Medikamente zunehmend besser gelindert und reduziert werden. Die Medikamente werden vor allem gegen Tagesschläfrigkeit oder Kataplexien eingesetzt. Zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit werden sogenannte Stimulanzien wie Modafinil oder Methylphenidat verwendet.

Andere Medikamente werden vor allem gegen Kataplexien eingesetzt, zum Beispiel Natriumoxybat. Erfreulicherweise wurde vor Kurzem ein neues Präparat zugelassen. Der Histaminantagonist Pitolisant verbessert sowohl die Tagesschläfrigkeit als auch die Kataplexien. Weitere potenzielle Medikamente sind in fortgeschrittenen Studienphasen. Wichtig ist, individuell auf die vorliegenden Symptome und Bedürfnisse auch in der Behandlung, soweit möglich,
einzugehen.

Bei etwa der Hälfte treten die ersten Symptome bereits vor dem 18. Lebensjahr auf.

Neben der medikamentösen Behandlung sind auch Verhaltensmaßnahmen, wie etwa die Einplanung von Tagesschlafzeiten, Tagesstruktur, Schlafhygiene oder regelmäßige sportliche Aktivität wichtig. Im Einzelfall ist eine psychologische Unterstützung zur Krankheitsbewältigung oder Hilfe bei der Tagesstrukturierung notwendig. Auch die Teilnahme an Selbsthilfegruppentreffen der Deutschen Narkolepsie-Gesellschaft kann hilfreich sein.

Wie viele Menschen sind schätzungsweise in Deutschland von dieser Erkrankung betroffen?

Die Anzahl wird auf circa 30.000 bis 40.000 Menschen geschätzt, das heißt, eine von 2.500 Personen ist erkrankt. Man geht allerdings davon aus, dass bisher nur bei einer Minderheit die Diagnose gestellt wurde und eine hohe Dunkelziffer an Erkrankten ohne Diagnosestellung vorliegt. Bei etwa der Hälfte treten die ersten Symptome bereits vor dem 18. Lebensjahr auf. Männer und Frauen sind ungefähr gleich häufig betroffen.

Was raten Sie Betroffenen, um den Alltag möglichst effektiv zu meistern?

Grundsätzlich ist die Erhaltung einer Tagesstruktur, vor allem mit Einplanung beziehungsweise der Möglichkeit, Schlafpausen durchzuführen, wichtig. Narkolepsieerkrankte benötigen in der Regel keine langen Schlafpausen, 20 bis 30 Minuten sind meistens ausreichend. Eine Pause mittags und eine am Nachmittag sollten vorgesehen werden. Andere Verhaltensmaßnahmen und die mit dem Arzt vereinbarte Einnahme von Medikamenten sind ebenfalls wichtig.

Gibt es bereits Rehabilitationsmöglichkeiten außerhalb der medikamentösen und stationären Behandlung?

Wir haben vor Kurzem damit begonnen, ergänzend zum bereits bestehenden Behandlungsangebot ein spezifisch auf die Bedürfnisse der Narkolepsie angepasstes Rehabilitationsprogramm anzubieten. Dabei ist der Behandlungsrahmen variabel gestaltet und erlaubt zum Beispiel die Durchführung von Schlafpausen.

Ziel ist es, Betroffenen Selbstbestimmung zurückzugeben.

Neben der fachärztlichen Behandlung sind auf die Narkolepsie speziell abgestimmte Therapieprogramme, beispielsweise Sport- und Trainingstherapie, Ergotherapie, Musiktherapie, Ernährungsberatung oder Psychologie weitere Bausteine des Rehakonzepts. Natürlich erfolgt immer auch eine Überprüfung und gegebenenfalls Optimierung der medikamentösen Behandlung. Ziel ist es, Betroffenen Selbstbestimmung zurückzugeben, Arbeitsfähigkeit zu erhalten und Lebensqualität zu verbessern.

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