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Krankheitsbilder

Eine Verlangsamung des Fortschreitens könnte vielen helfen

FOTO: UNSPLASH, AMANDA DALBJORN

Die Retinitis pigmentosa mit ihren verschiedenen Unterformen gilt als häufigste Ursache für eine Erblindung im Erwachsenenalter. Oft müssen Betroffene lange auf eine Diagnose warten, während ihre Erkrankung weiterhin fortschreitet und ihr Sehen sich Stück für Stück verschlechtert

Wir sprachen mit Herrn Professor Dr. Ulrich Kellner über die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten und werfen einen vorsichtigen Blick in die Zukunft.

Prof. Dr. med. Ulrich Kellner

Leiter des Zentrums für seltene Netzhauterkrankungen am Augen-Zentrum Siegburg und Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer der MVZ Augenärztliches Diagnostik- und Therapiecentrum Siegburg GmbH, einem Partner-Zentrum der Ober-Scharrer-Gruppe.

Herr Professor Dr. Kellner, können Sie uns kurz erklären, wie die Symptome einer Retinitis pigmentosa aussehen und wo die Ursachen für die Erkrankung liegen?

„Retinitis pigmentosa“ ist ein Oberbegriff für eine heterogene Gruppe von Erkrankungen. Gen-Veränderungen in ca. 150 Genen können eine Retinitis pigmentosa verursachen, zum Teil sind diese als Syndrome mit Veränderungen in anderen Organen verbunden, z. B. mit Hörstörungen, neurologischen Erkrankungen oder einer Nierenfehlfunktion. Die Symptome reichen von einer Erblindung bereits bei Geburt, einer sogenannten Leber’schen kongenitalen Amaurose, bis hin zu einem milden Verlauf, der erst nach dem 65. Lebensjahr manifest wird. Eine meiner ältesten Patientinnen war bei Erstdiagnose bereits 76 Jahre alt und hatte ihr Leben lang sehr milde Symptome, die erst im späten Alter auffielen.

Klassische Symptome sind beispielsweise Nachtblindheit, die besonders in Städten oft erst spät bemerkt wird. Auch Einschränkungen des Gesichtsfelds bis hin zum „Tunnelblick“ und im weiteren Verlauf eine Sehverschlechterung sowie eine vorzeitige Ausbildung eines grauen Stars können einen Hinweis auf eine Retinitis pigmentosa geben. Manchmal fällt das Vorliegen einer Retinitis pigmentosa schon dadurch auf, dass es bereits in der Familie andere Betroffene gibt. Allerdings kann auch bei gleicher genetischer Ursache innerhalb einer Familie bei verschiedenen Betroffenen der Verlauf durchaus deutlich unterschiedlich sein.

Betroffene warten oft lange auf die richtige Diagnose. Wie kann eine gesicherte Diagnose gestellt werden?

Die Symptomatik ist am Krankheitsbeginn meist unspezifisch, was die Diagnosestellung erschwert. Verschiedene Verfahren der Bildgebung der Netzhaut haben in den letzten Jahren die Frühdiagnose verbessert; hierzu gehören die optische Kohärenztomografie (OCT) und die Fundusautofluoreszenz (FAF). Beide Verfahren sind weit verbreitet und können Strukturveränderungen sichtbar machen, die bei einer normalen Untersuchung des Augenhintergrundes nicht erkennbar sind.

Die Differentialdiagnose zwischen den bis zu 150 verschiedenen genetischen Ursachen erfordert eine molekulargenetische Testung. Diese erlaubt die Entscheidung über Behandlungsmöglichkeiten, sie gibt Informationen für mögliche weitere Betroffene in der Familie und ermöglicht auch die Früherkennung von Syndromen sowie die Suche nach Frühveränderungen in anderen Organen. Dieses leitliniengerechte Vorgehen lässt sich oft am besten in Schwerpunktzentren für erbliche Netzhautund Sehbahnerkrankungen umsetzen.

Die Erkrankung kann sich ganz verschieden zeigen und entwickeln: Von einer Erblindung bereits bei der Geburt, bis hin zu einem milden Verlauf.

Welche Grundlage kann die molekulargenetische Untersuchung für eine mögliche Therapieentscheidung bilden und warum ist der Diagnosezeitpunkt dabei so wichtig?

Bei einer genspezifischen Therapie hängt die Therapie von der molekulargenetischen Diagnostik ab. Um zielgerichtet behandeln zu können, ist eine genaue Identifikation der ursächlichen Genveränderungen erforderlich. Da eine Gentherapie jedoch nur noch die erhaltenen funktionierenden Zellen erreicht, ist eine Therapie in der Regel um so erfolgreicher, je früher sie eingesetzt wird.

Wenn man einen vorsichtigen Blick in die Zukunft wagen will: Rechnen Sie damit, dass die Retinitis pigmentosa oder bestimmte Formen davon in Zukunft therapierbar sein könnten?

Man muss differenzieren: „Therapierbar“ ist nicht mit „heilbar“ gleichzusetzen. Aktuelle Strategien der Gentherapie zielen auf einen Erhalt der noch funktionierenden Netzhautzellen. Zukünftige Therapiestrategien zielen auf die Veränderung bestimmter Zellfunktionen (Optogenetik) oder einen Funktionsersatz durch Stammzellen, dies wird allerdings noch länger dauern. Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Jahren weitere Verfahren verfügbar sind. Allerdings ist es schwer, in Studien geeignete Endpunkte für einen Wirksamkeitsnachweis zu finden, weil es zunächst nur eine Stabilisierung, nicht notwendigerweise eine Verbesserung gibt. Dabei ist schon eine Stabilisierung oder auch nur eine deutliche Verlangsamung des Fortschreitens für viele Patienten sehr hilfreich.

PRO RETINA e. V.

Eine Anlaufstelle für Menschen mit Retinitis pigmentosa und ihre Angehörigen ist die Patientenorganisation PRO RETINA Deutschland e. V.

Sie ist bundesweit die größte und älteste Patientenvereinigung von und für Menschen mit Netzhauterkrankungen. PRO RETINA unterstützt nach dem Leitsatz „Forschung fördern, Krankheit bewältigen, selbstbestimmt leben“, bietet fundierte Informationen, ermöglicht den Austausch mit anderen Betroffenen, fungiert als Bindeglied zwischen Patient und Arzt und unterstützt die Forschungsförderung, damit neue Therapien entwickelt werden. Ermöglicht wird diese Arbeit durch ehrenamtliches Engagement und durch Spenden.

Weitere Informationen unter:
www.pro-retina.de

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