Die einmal anzuwendende Gentherapie kann eine Alternative zu der üblichen kontinuierlichen Prophylaxe mit Faktor-IX oder Faktor-VIII bei Menschen mit Hämophilie sein. Sie kann dazu beitragen, die Lebensqualität der Betroffenen weiter zu verbessern.
Heute können Menschen mit Hämophilie ein nahezu normales Leben führen. Das war vor nur zwei Generationen noch ganz anders. Bei Menschen mit Hämophilie fehlt der Gerinnungsfaktor-VIII (Hämophilie A) oder Gerinnungsfaktor-IX (Hämophilie B) oder dieser wird nicht ausreichend produziert. Dank der kontinuierlichen Fortschritte der modernen Medizin haben sich die Behandlungsmöglichkeiten dieser erblich-bedingten Blutgerinnungsstörung über die Jahrzehnte enorm verbessert, sodass die Krankheit immer besser in den Griff zu bekommen ist. Regelmäßige Infusionen des fehlenden Gerinnungsfaktors ermöglichen den Betroffenen ein aktives Leben.
Die Symptome der Hämophilie bleiben jedoch lebenslang bestehen. Zu den wichtigsten Symptomen zählen starke, langanhaltende Blutungen, die zum Teil spontan, also ohne erkennbaren Grund, auftreten. Am häufigsten handelt es sich um Einblutungen in Gelenke und Muskeln, die mit der Zeit zu chronischen Schmerzen und Gelenkschäden führen können. Solche Blutungen können lebensbedrohlich sein und bleibende körperliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Wie schwer die Symptome ausgeprägt sind, hängt insbesondere davon ab, wie viel Gerinnungsfaktor im Blut vorliegt – je weniger Gerinnungsfaktor, desto höher das Blutungsrisiko.
Therapieziel der Hämophilie
Das übergeordnete Ziel der Hämophilie-Therapie ist es, die Blutgerinnung und damit den Schutz vor Blutungen zu verbessern. Dies ist mit der Bedarfstherapie möglich, wenn akut eine Blutung auftritt, sowie mit der Prophylaxe, bei der regelmäßig, beispielsweise einmal wöchentlich, der fehlende Gerinnungsfaktor verabreicht wird, um Blutungen vorzubeugen.
Bei den meisten Betroffenen lässt sich die Hämophilie mit der Prophylaxe gut beherrschen. Trotz der bereits erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der Hämophilie gibt es weiterhin Bedarf an neuen Behandlungsmöglichkeiten für Menschen, die mit Hämophilie leben. Denn selbst mit regelmäßiger Prophylaxe können noch Blutungen auftreten, die zu Schmerzen, Gelenkschäden und einer beeinträchtigten Lebensqualität führen können. Die regelmäßige Prophylaxe ist lebenslang mit dem Erfordernis von Infusionen verbunden. Für die Betroffenen und ihr Umfeld können die Symptome der Hämophilie sowie die regelmäßigen Infusionen in vielfacher Hinsicht eine Belastung sein: Fehlzeiten bei der Arbeit, in der Ausbildung oder in der Schule sind mögliche Folgen. Betroffene mit Hämophilie können ein höheres Verletzungsrisiko bei sportlichen Aktivitäten haben. All dies kann sich oft auf die Lebensgestaltung, Beziehungen und Partnerschaften auswirken.Ein gleichbleibend höherer FVIII- bzw. FIX-Spiegel würde einen besseren Schutz bedeuten.
Neuartiger Ansatz: Gentherapie
Die Gentherapie ist ein neuartiger Ansatz zur Behandlung genetischer Erkrankungen, die durch ein einzelnes defektes Gen verursacht werden – wie es bei der Hämophilie der Fall ist. Für die Durchführung wird ein funktionsfähiges Gen in den Körper eingeschleust, um das fehlerhafte Gen zu ersetzen. Hierfür wird ein Transportmittel benötigt: Das funktionsfähige Gen wird in sogenannte Vektoren verpackt, die das Gen auf der Reise in die Körperzellen schützen und zum Ziel leiten, den Leberzellen, da der Körper dort die Gerinnungsfaktoren bildet. Vektoren nutzen die biotechnologisch hergestellten “Verpackungen” von Viren, deren genetisches Material jedoch ersetzt wurde. Sie sind nicht mehr vermehrungfähig und lösen keine Infektionskrankheit mehr aus. Da die Leber der Ort der Bildung der Gerinnungsfaktoren VIII und IX ist, erfolgt bei der Gentherapie der Hämophilie die Zufuhr als Injektion in eine Vene, um über das Blut die Leber zu erreichen. Nach der erfolgreichen Aufnahme des funktionsfähigen Gens in die Leberzelle kann diese den korrekten genetischen Bauplan für Faktor VIII oder Faktor IX nutzen, um selbst funktionsfähige Gerinnungsfaktor-Proteine zu bilden, wozu sie zuvor nicht in der Lage war.

Grafik: Modifiziert nach Referenz 2; created in BioRender. Gromer, S. (2025)
Gentherapie – eine neue Behandlungsoption
Die speziellen Merkmale der Hämophilie machen die Behandlung und das Leben mit dieser Erkrankung zu einer Herausforderung. Gleichzeitig machen sie die Hämophilie aber auch zu einem idealen Ziel für die Gentherapie.
Die einmalige Infusion der Gentherapie hat als Ziel:
- Die Leber soll in die Lage versetzt werden, langfristig selbst den bisher unzureichend vorhandenen Gerinnungsfaktor herzustellen.
- Der Gerinnungsfaktor-Spiegel soll weitgehend stabil bleiben, also möglichst ohne größere Schwankungen.
- Spontane Blutungen sollen reduziert werden oder besser noch ganz ausbleiben.
Austausch mit den behandelnden Ärzten
Wenn Sie Fragen zu Hämophilie haben, wenden Sie sich an Ihre behandelnden Ärzte bzw. an ein spezialisiertes Hämophilie-Zentrum.
Erfahren Sie mehr über die neuen Möglichkeiten!
Referenzen
1 Miesbach W et al. Gentherapie der Hämophilie –Chancen und Risiken. Dtsch Arztbl (2022) 119: 887-894
2 Miesbach W et al. Gentherapie der Hämophilie: Empfehlung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH). Hämostaseologie (2022) a-1957-4477