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Krankheitsbilder

„Ich lebe wieder ein ganz normales Leben und dafür bin ich sehr dankbar!“ – Leben mit PV

Fotos: Privat

Über lange Jahre blieb die seltene Bluterkrankung Polycythaemia Vera (PV) bei Ilona Beyer unentdeckt, aber sie gab nicht auf. Wie man ihrer Erkrankung auf die Spur kam und wie sie heute damit lebt, erzählte sie uns im Interview.

Man sollte nie locker lassen, wenn einem das eigene Bauchgefühl sagt, dass etwas nicht stimmt.

Liebe Frau Beyer, wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass etwas nicht stimmt? Welche Symptome haben Sie aufhorchen lassen?

Zunächst hatte ich keine typischen PV-Symptome, aber ich hatte einen Bandscheibenvorfall und sollte operiert werden. Bei der Überprüfung der Blutwerte vorab waren die Thrombozyten zu hoch. Das war das erste Mal, dass ich hörte, dass meine Blutwerte nicht in Ordnung sind. Nicht lange darauf bekam ich Brustkrebs, den ich zum Glück besiegte. Nach der Behandlung wurde ich engmaschig überwacht, und es fiel immer wieder auf, dass die Thrombozyten zu hoch sind.

Es hat trotzdem noch Jahre gedauert, bis die Diagnose “Polycythaemia Vera” gestellt wurde – obwohl Ihr Hämatokritwert, der ein Anzeichen für PV sein kann, schon damals sehr hoch war. Können Sie uns sagen, woran es gelegen hat?

Meine Brustkrebs-Diagnose bekam ich 2006, meine PV-Diagnose tatsächlich erst 2013. Lange dachte man, dass der erhöhte Hämatokritwert mit meiner Krebsbehandlung zusammenhängen könnte, aber es wurde einfach nicht besser. Mein Gynäkologe, der mich auch nach meiner Krebsbehandlung intensiv betreute, überwies mich deswegen zu einem Leukämie-Spezialisten. Der sagte, dass ich nichts hätte, überwies mich aber zu einem Humangenetiker. Der wiederum verschrieb mir Blutverdünner, aber konnte auch nichts feststellen. Zurück bei meinem Hausarzt wurde mir bestätigt, dass meine Werte noch immer viel zu hoch wären und wir der Sache auf den Grund gehen müssten. Er überwies mich an einen Onkologen, der meine Blutprobe nach München schickte. Eine Woche später bekam ich meine Diagnose. Warum keiner die Puzzleteile früher richtig zusammengesetzt hat, frage ich mich bis heute.



Was ist der Hämatokritwert?

Der Hämatokritwert gibt an, wieviel Prozent des Blutvolumens aus festen Bestandteilen besteht. Mit etwa 96 Prozent bestehen diese festen Bestandteile aus roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Wenn der Flüssigkeitsanteil des Blutes sinkt, wird das Blut zu dick, zähflüssig und fließt in der Folge langsamer. Dadurch steigt der Hämatokritwert und mit ihm das Risiko für arterielle und venöse Thrombosen, Herzinfarkt und Schlaganfälle. Um dem entgegenzusteuern, sollte versucht werden, den Hämatokritwert unter 45 Prozent zu halten.

Ein zu hoher Wert kann auf Flüssigkeitsmangel oder Krankheiten wie Polycythaemia Vera hindeuten, ein zu niedriger auf Blut-verlust oder Anämie. Ein unauffälliger Hämatokritwert liegt bei Männern zwischen 42 und 50 Prozent, bei Frauen zwischen 37 und 45 Prozent.

Foto: Shutterstock, 533072995

Wie sah die anschließende Therapie aus? Waren Sie zuversichtlich?

Da ich mich direkt intensiv zur PV informierte, wusste ich: Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, die man aber gut behandeln kann. Das gab mir Hoffnung, da die Symptome zu diesem Zeitpunkt sehr stark waren. Ich war bei Kleinigkeiten sofort auf 180, litt unter einer bleiernen Müdigkeit und meine Beine schmerzten. Meine Hände und mein Gesicht brannten und waren abends feuerrot.

Die Therapie bestand zunächst aus Aderlässen und der Gabe von Blutverdünnern; das verbesserte die Symptome deutlich. Aber die Wirkung hielt meist nicht lange an und es gab Nebenwirkungen, wie zum Beispiel einen permanenten Eisenmangel, der sich mit jedem Aderlass verstärkte. Müdigkeit wurde zu meinem ständigen Begleiter.

Von 2014 bis 2017 bekam ich daher ein weiteres Medikament, um diesen Kreislauf zu durchbrechen, aber litt dabei unter schlimmen Nebenwirkungen: Fatigue, Schmerzen, Magenprobleme, Nasenbluten. 2017 habe ich mit meinem behandelnden Arzt besprochen, dass es so für mich nicht weitergeht.

Was ist dann passiert?

Ich habe zu meinem Arzt eine sehr vertrauensvolle Beziehung auf Augenhöhe und habe ihm deutlich gesagt, dass ich keine Lebensqualität mehr habe. Er erzählte mir von anderen Behandlungsmöglichkeiten, wofür ich sehr offen war. Ich habe es nicht bereut, da sich meine Lebensqualität durch die Anpassung meiner Therapie enorm verbessert hat.

Wie geht es Ihnen denn heute?

Klar habe ich auch heute noch Tage, an denen es mir mal nicht so gut geht. Aber ich kann wieder alles machen, arbeite freiberuflich wieder als Eventmanagerin und kann mein Privatleben genießen. Ich kann mit meinen Enkelkindern aktiv Zeit verbringen und wir haben wieder einen Hund, der mich auf Trab hält.

Ich lebe wieder ein ganz normales Leben und dafür bin ich sehr dankbar! Die PV ist tatsächlich gerade meine kleinste Baustelle. Auch meine letzten Untersuchungswerte geben mir recht, denn da konnte man die PV kaum noch nachweisen. Daher behalten wir die Medikation weiter so bei, da ich damit wirklich gut fahre.

Was möchten Sie Betroffenen mit auf den Weg geben?

Man sollte nie locker lassen, wenn einem das eigene Bauchgefühl sagt, dass etwas nicht stimmt. Und wenn man sich ärztlich nicht gut aufgehoben fühlt oder keine zuverlässige Diagnose gestellt werden kann, sollte man sich nicht scheuen, zum nächsten Experten zu gehen oder sich an ein spezialisiertes Kompetenzzentrum zu wenden. Hat man die Diagnose erhalten, dann kann ich nur jedem raten, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und z. B. an Patientenveranstaltungen teilzunehmen, um so viel wie möglich über seine eigene Erkrankung zu lernen.

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