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HAE

Leben mit dem Hereditären Angioödem (HAE)

HAE, Hereditäres Angioödem
HAE, Hereditäres Angioödem
Foto: Robert Kneschke/shutterstock

In einem Interview mit Dr. Jens Greve und Patientin Ines Meyer* erfahren Sie Wichtiges über die Krankheit Hereditäres Angioödem (HAE) und wie man damit leben kann.

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Dr. Jens Greve

Oberarzt der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Universitätsklinikum Ulm

Wiederkehrende Schwellungen an Armen, Beinen, im Gesicht oder seltener auch im Rachenraum sowie starke Bauchschmerzen und Übelkeit. Wer wie Ines Meyer am Hereditären Angioödem (HAE) leidet, muss oft lange auf die richtige Diagnose warten.

In Zentren wie der Uniklinik Ulm, wo Ines Meyer Patientin von HAE-Spezialist Dr. Jens Greve ist, können die Betroffenen so behandelt werden, dass sie mit ihrer seltenen und unter Umständen lebensbedrohlichen Erbkrankheit gut leben können.

Frau Meyer, wie hat sich die Zeit der Unwissenheit auf Ihr Leben ausgewirkt?

Die Diagnose war für mich eine Erleichterung.

Solange die Ursache für meine Beschwerden nicht klar war, bin ich oft auf Unverständnis gestoßen. Viele in meinem Umfeld haben gedacht, ich simuliere Bauchschmerzen, damit ich nicht in die Schule muss.

Seitdem ich die Diagnose HAE habe, ist es besser geworden, denn man kann es anderen Leuten nun erklären. Sie haben mehr Verständnis und können besser damit umgehen. Die Diagnose war für mich eine Erleichterung.

Herr Dr. Greve, warum müssen Menschen wie Ines Meyer meist so lange auf die richtige Diagnose warten?

In Deutschland vergehen immer noch rund neun Jahre bis ein HAE-Patient weiß, was er hat.

Wiederkehrende Schwellungen an Armen, Beinen, im Gesicht, im Magen-Darm-Trakt oder auch im Rachenraum sind zwar charakteristische Merkmale für HAE, aber sie sind nicht eindeutig.

Häufig werden die Symptome mit einer Allergie, gastroenterologischen oder gynäkologischen Erkrankungen verwechselt. Das kann die richtige Diagnose um Jahre verzögern. In Deutschland vergehen immer noch rund neun Jahre bis ein HAE-Patient weiß, was er hat.

Wodurch wird HAE überhaupt verursacht, Herr Dr. Greve?

In Deutschland leben etwa 1.600 Personen, bei denen diese seltene, aber schwerwiegende Erkrankung diagnostiziert wurde. Ursache ist eine Genveränderung. Das betroffene Gen ist für die Bildung eines körpereigenen Proteins, den C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH), zuständig. Durch die genetische Veränderung kommt es zu einer verminderten Konzentration an C1-INH oder zu einem nicht voll funktionsfähigen C1-INH.

Dies führt zu einer Fehlsteuerung im Körper, wodurch die Gefäße durchlässiger werden und Flüssigkeit vermehrt ins Gewebe übertreten kann. Dies verursacht die Ödeme bei HAE.

Herr Dr. Greve, gibt es spezielle Auslöser, die eine HAE-Attacke verursachen können?

HAE-Attacken können durch Verletzungen aller Art ausgelöst werden, beispielsweise durch eine Behandlung beim Zahnarzt oder andere Operationen im Mund oder Hals-Kopf-Bereich. Auch Stresssituationen – gerade bei Schulkindern – oder Entzündungen kommen in Frage.

Die Attacken sind häufiger, vor allem wenn ich Stress zum Beispiel durch die Uni habe.

Bei Frauen haben auch Hormonschwankungen, ausgelöst durch Menstruation, Schwangerschaft  oder östrogenhaltige Anti-Baby-Pillen, einen Einfluss. Da es sich um einen Gendefekt handelt, sind meist mehrere Mitglieder einer Familie – ein Elternteil oder Geschwister –  betroffen.

Wie war das bei Ihnen, Frau Meyer? Wie lange haben Sie auf die richtige Diagnose warten müssen?

Ich war etwa acht Jahre alt, als das erste Mal meine Hand angeschwollen ist. Die Attacken sind häufiger, vor allem wenn ich Stress zum Beispiel durch die Uni habe. Die Begleiterscheinungen wie Magenschmerzen oder Erbrechen habe ich nie in Verbindung gebracht mit den Schwellungen, obwohl meine Mutter schon immer mit ähnlichen Beschwerden zu kämpfen hatte. Wir dachten, das ist ein Reizdarmsyndrom oder eine Unverträglichkeit. Mittlerweile hat auch sie die Diagnose HAE.

Ich habe meine Diagnose im Mai 2015 erhalten. Die Schwellung ging damals in den Rachenraum über und ich bekam Atemnot, so dass man einen Notarzt rufen musste. Bei einer Internetrecherche bin ich auf verschiedene mögliche Ursachen gestoßen, auch auf die eines Gendefekts. Der Notarzt war meinem Hinweis gegenüber sehr offen und hat sich dahingehend noch im Krankenwagen informiert.

Seitdem werde ich von Dr. Greve an der Uniklinik Ulm betreut und erhalte ein Medikament, welches ich mir im Fall einer Attacke selbst spritzen kann.

Dr. Greve, wie kann festgestellt werden, wer an HAE leidet?

Generell erfolgt die Diagnosestellung über eine Blutuntersuchung, bei der eine erniedrigte Aktivität des Proteins C1-INH auf HAE hinweist. Ist die Blutuntersuchung nicht eindeutig, kann auch ein Gentest Aufschluss geben.

Als Experten können wir bei Verdacht die Diagnose prüfen und gleich eine geeignete Therapie einleiten.

Die Erkrankung wird – wie schon die Bezeichnung „Hereditäres Angioödem“ (hereditär = erblich) vermuten lässt – vererbt. Daher spielt auch die sorgfältige Erfassung der Familiengeschichte eine wichtige Rolle bei der Diagnosestellung.

Welcher Arzt kann die Diagnose stellen?

In der Regel sind Allgemeinärzte, Internisten und Dermatologen sowie Pädiater die erste Anlaufstelle für Patienten mit HAE. Wenn die Symptome den Verdacht erhärten, kann theoretisch jeder Arzt die notwendige Blutuntersuchung selbst vornehmen.

Für den Arzt ist es von der Logistik jedoch einfacher, Betroffene an ein spezialisiertes Behandlungszentrum zu überweisen.

Was bieten spezialisierte Zentren den Betroffenen?

In Zentren wie dem unseren werden die Betroffenen mit allen Informationen versorgt, die sie für das Leben mit ihrer seltenen Erkrankung benötigen. Als Experten können wir bei Verdacht die Diagnose prüfen und gleich eine geeignete Therapie einleiten.

* Name von der Redaktion geändert

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