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Forschung

LEBEN MIT XLH: „Eine kontinuierliche Behandlung ermöglicht ein enormes Plus an Lebensqualität und Teilhabe“

Foto: shutterstock 1974397445

Die x-chromosomale Hypophosphatämie (kurz XLH) ist eine seltene Störung des Knochenstoffwechsels, die durch eine Mutation vererbt wird, welche auf dem X-Chromosom liegt und zu einem Phosphatmangel führt. Wir sprachen mit dem Experten Dr. Felix Reschke über die Herausforderungen für Betroffene, besonders beim Übergang ins Erwachsenenalter.

Wir brauchen strukturierte Programme für den Übergang in die Erwachsenenmedizin.

Dr. Felix Reschke

Oberarzt am Kinder- und Jugendkrankenhaus „Auf der Bult“ in Hannover

Foto: Privat

Herr Dr. Reschke, was passiert bei XLH im Körper Betroffener und wie äußert sich die Erkrankung?

Die X-chromosomale Hypophosphatämie (kurz XLH) ist eine genetische Veränderung, die dazu führt, dass der Körper über den Urin zu viel Phosphat ausscheidet. Phosphat ist in Kombination mit Calcium entscheidend für den Aufbau und die Stabilität unserer Knochen und Zähne. Da dieser Kreislauf bei XLH-Betroffenen nicht richtig funktioniert, entsteht ein chronischer Phosphatmangel, was den Knochen- und Zahnaufbau stört. Bei Kindern, die sich im Wachstum befinden, äußert sich das häufig durch Beinfehlstellungen bzw. Verformungen der unteren Extremitäten (X- und/oder O-Beine), damit einhergehenden Wachstumsverzögerungen und Schmerzen in den Knochen und Gelenken.

In vielen Fällen haben betroffene Kinder Zahnprobleme, da der Zahnschmelz durch das fehlende Phosphat nicht richtig ausgebildet wird. Im Jugendlichen- und Erwachsenenalter gehen die Wachstumsverzögerungen in einen manifesten Kleinwuchs über, es kann zu Gelenksteifigkeit und frühen Arthrosen kommen. Zudem sind sie besonders anfällig für Knochenbrüche auch bei nur kleinen Unfällen.

Was sind die Herausforderungen bei der Diagnose und warum sollte sie möglichst früh erfolgen?

Durch die Seltenheit der Erkrankung kommen Ärzte nicht häufig mit ihr in Kontakt, statistisch gesehen sieht ein niedergelassener Kinderarzt in seiner Berufslaufbahn wahrscheinlich einen XLH-Patienten. Zudem können die Symptome auch andere Ursachen haben oder unterschiedlich ausgeprägt sein, weshalb es noch häufig zu Fehldiagnosen kommt. Viele Patienten erleben eine Odyssee, bis es zur richtigen Diagnose kommt. Wir können die Erkrankung zwar nicht heilen, aber mittlerweile gut behandeln. Wir haben seit einigen Jahren eine kausale Therapie zur Verfügung, die an der Ursache der Krankheitsentstehung ansetzt und den Phosphatstoffwechsel wieder ins Gleichgewicht bringen kann. Der Behandlungserfolg ist aber absolut abhängig vom Diagnosezeitpunkt, da es sich um eine fortschreitende Stoffwechselerkrankung handelt.

Je früher die Erkrankung erkannt und behandelt wird, umso besser können wir in das Krankheitsgeschehen eingreifen und Folgeschäden verhindern. Wenn wir die Diagnose also bereits im frühen Kindesalter stellen, können wir z. B. Schmerzen und Fehlstellungen sehr gut vorbeugen, da noch ein großes Wachstumspotenzial besteht. Sind die Knochen einmal ausgewachsen und verkrümmt, dann wird es schwierig, das buchstäblich wieder therapeutisch „geradezubiegen“. Manche Schäden können dann nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Betroffene Kinder werden nach der Diagnose im Regelfall gut betreut und überwacht. Wie sieht die Versorgungsrealität aus, wenn Betroffene heranwachsen?

Es ist wichtig zu verstehen, dass eine Therapie ein Leben lang fortgesetzt werden muss, da es sich um eine chronische Erkrankung handelt. Die Wachstumsphase ist eine ganz entscheidende Phase, in der Eltern ihre Kinder in vielen Fällen gewissenhaft durch die Therapie begleiten und dafür sorgen, dass Therapieund Kontrolltermine wahrgenommen werden. Die Versorgung erfolgt in Deutschland in fast allen Fällen an Zentren, die sich auf Knochenstoffwechselerkrankungen im Kindesalter spezialisiert haben. Meist sind dabei maßgeblich Nephrologen oder Endokrinologen beteiligt, die dann Kollegen aus weiteren Fachbereichen hinzuziehen.

Wir bieten also eine auf den jungen Patienten bezogene Betreuung an, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt und einen stark umsorgenden Charakter hat. Dieser enge Rahmen verändert sich beim Übergang in die Erwachsenenmedizin. Erwachsene finden seltener spezialisierte Anlaufstellen, zudem steigt die Eigenverantwortung. Klar, mit 18 hat man vielleicht auch einfach andere Dinge im Kopf, manche verlieren in dieser Zeit den Kontakt zu Spezialisten. Das führt dann aber dazu, dass wieder vermehrt Schmerzen und Bewegungseinschränkungen auftreten können, die vielleicht zu spät mit der XLH in Verbindung gebracht werden.

Diese Abbrüche wollen wir verhindern, weshalb wir in der Begleitung unserer Patienten ab einem gewissen Alter einen Fokus auf die Wissensvermittlung rund um ihre Erkrankung und das Therapiemanagement setzen und davor warnen, solche Lücken entstehen zu lassen.

Wir versuchen also, die Patienten schon vorausschauend aus der Fürsorge der Eltern herauszunehmen und die Eigenverantwortung zu schulen. Idealerweise finden wir dann gemeinsam mit dem Patienten ein nachsorgendes Zentrum und leiten einen „Übergabeprozess“ in die Wege, damit sie auch als Erwachsene gut versorgt bleiben. Man muss aber sagen, dass es kein strukturiertes Programm gibt, das den Übergang für XLH-Patienten in die Erwachsenenmedizin regelt. Wir bräuchten das aber dringend, um Versorgungslücken gar nicht erst entstehen zu lassen.

Warum ist es so wichtig, dass Betroffene auch im Erwachsenenalter weiter gut versorgt werden, und wie kann das gelingen?

Das ist eine spannende Frage, hier hole ich mal etwas weiter aus. Es passiert nämlich nicht selten, dass wir von XLH betroffene Kinder behandeln und in diesem Zuge auch die Eltern auf XLH (oder eine Trägerschaft) positiv getestet werden, da es sich ja um eine genetische Erkrankung handelt. Als pädiatrisches Zentrum können wir hier keine Behandlung anbieten, aber versuchen dann an Experten zu vermitteln, die sich um die Versorgung der erwachsenen Patienten kümmern können. Hier wäre es wünschenswert, eine Art Register oder Landkarte zu haben, um diese Patienten dann einem Wohnort-nahen Experten zuführen zu können. Solche Register können auch helfen, die Versorgung von Patienten im Erwachsenenalter zu sichern, die bereits als Kinder diagnostiziert wurden.

Es ist unglaublich toll, was mir jugendliche Patienten berichten, die mit der kausalen Therapie behandelt werden. Ich hatte z. B. einen jungen Patienten, der mir freudestrahlend erzählte, dass er eines morgens zum Bus rennen musste und es noch geschafft hat, ihn zu erreichen. Er sagte, dass das ohne die Therapie nicht möglich gewesen wäre, weil er sonst starke Schmerzen gehabt hätte und sich gar nicht so schnell hätte bewegen können. Ein anderer Patient erzählte mir mit leuchtenden Augen, dass er ohne Angst bei der Eisdisco zum Schlittschuhlaufen war.

Die Therapie ermöglicht also ein enormes Plus an Lebensqualität und Teilhabe! Die Patienten müssen daher verstehen, dass ihre Therapietreue ihnen genau das ermöglicht, aber umgekehrt ein Abbruch der Versorgung zwangsläufig negative Folgen haben wird. Zu diesen negativen Folgen im Erwachsenenalter zählen ständige chronische Knochenschmerzen, frühzeitige Gelenkveränderungen (z. B. Arthrose), Gelenksteifigkeit und Bewegungseinschränkungen.

Zudem können schmerzhafte Verkalkungen der Sehnenansätze entstehen. Des Weiteren besteht ein erhöhtes Frakturrisiko und es können Zahnprobleme auftreten (Abszesse, frühzeitiger Zahnverlust). Diese belastenden Symptome können zudem zu einer ständigen Müdigkeit und Erschöpfung führen. Aus diesem Grund ist es extrem wichtig, strukturierte Programme für den Übergang in die Erwachsenenmedizin zu schaffen, damit kein Patient durchs Raster fällt. Denn im Erwachsenenalter ergeben sich andere Behandlungsziele, aber ein gutes Management und eine gezielte Behandlung der Erkrankung können auch hier in vielen Fällen positive Auswirkungen auf die körperliche Situation und Lebensqualität haben.

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