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Lebenserwartung: Unberechenbar

Spaß am Leben. Dank des Kontaktes mit anderen Betroffenen kann Marion Wilkens heute wieder positiver in die Zukunft blicken.

Marion Wilkens spricht im Interview über das Leben mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, ihre größten Ängste und neue Therapien.

Erinnern Sie sich noch, wie bei Ihnen Alpha-1 diagnostiziert wurde?

Seit ich 20 Jahre alt bin, habe ich die Diagnose Asthma. Aus diesem Grund bin ich seitdem bei einem Lungenfacharzt in Behandlung. Der wurde stutzig, als meine Werte immer schlechter wurden, obwohl ich bereits seit zehn Jahren mit dem Rauchen aufgehört hatte.

Wie ging es dann weiter?

Vor sechs Jahren ordnete mein Lungenarzt einen Test auf Alpha-1-Antitrypsin-Mangel an – und dieser war leider positiv.

Ich hatte ein Bild von jammernden, schwerkranken Menschen im Kopf, und das passte einfach nicht in mein Selbstbild.

Wie haben Sie auf die Diagnose reagiert?

Ich rechnete meine Lebenserwartung aus. Dazu habe ich meinen Verlust an Lungenfunktion hochgerechnet und stellte fest, dass ich wohl keine 20 Jahre mehr leben würde. Ich dachte nur: „Oh Gott, jetzt geht es nur noch bergab.“ Im gleichen Moment dachte ich auch an meine Kinder.

Inwiefern?

Alpha-1 ist eine genetische Krankheit, also könnten auch meine Kinder daran erkranken – diese Vorstellung machte mich schier verrückt.

Was haben Sie gegen Ihre Ängste unternommen?

Wir haben ein Familienscreening gemacht und das hat uns zumindest in dieser Hinsicht Entwarnung gegeben. Meine Kinder tragen den Gendefekt zwar in sich und können ihn leider auch weitervererben, werden selbst jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an Alpha-1 erkranken, sofern sie nicht rauchen oder sich anderen Schadstoffen aussetzen. Angst hatte ich aber nach wie vor. Schließlich wusste ich nicht, wie mein Leben nun weitergehen würde.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe begonnen, mich zu informieren, was anfangs gar nicht so leicht war.

Warum?

Selbst mein Lungenfacharzt wusste nicht viel über Alpha-1. Im Internet bin ich dann auf die Patientenorganisation Alpha1 Deutschland gestoßen. Dort konnte ich mich endlich umfassend informieren, beispielsweise durch Fachvorträge, die der Verein regelmäßig anbietet.

Haben Sie auch andere Betroffene kennengelernt?

Damit hatte ich anfangs Probleme, das erste Treffen in einer Selbsthilfegruppe kostete mich viel Überwindung.

Woher kam diese Scheu?

Ich hatte ein Bild von jammernden, schwerkranken Menschen im Kopf, und das passte einfach nicht in mein Selbstbild – ich wollte solche Menschen nicht kennenlernen.

Hat Sie der Kontakt eines Besseren belehrt?

Zu 100 Prozent. Bis heute habe ich nicht einen Betroffenen kennengelernt, der seine Zeit nur mit Jammern vergeudet. Und heute bin ich unendlich dankbar, dass ich so schnell mit Alpha1 Deutschland in Kontakt gekommen bin – ich wurde von ihnen aufgefangen.

Sind Sie immer noch in der Selbsthilfegruppe/Patientenorganisation?

Aber ja. Es ist sinnvoll, wenn man als Alpha-1-Patient viel über die Erkrankung weiß, da viele Ärzte sich nicht so gut auskennen. Erst in der Gruppe habe ich überhaupt erfahren, dass es eine Therapie gibt. Bei dieser Substitutionstherapie wird dem Körper das fehlende Eiweiß von außen zugeführt.

Nutzen Sie diese Therapiemöglichkeit?

Noch nicht, da meine Lunge noch recht gut funktioniert, kommt diese Therapie erst in Kürze für mich infrage. Aber es ist gut zu wissen, dass es diese Therapie gibt. Das beruhigt, denn auch wenn die Therapie den Lungenverlust nicht aufhalten kann, so wird der Abbau doch wenigstens verlangsamt.

Wie gehen Sie mit den Einschränkungen, die Alpha-1 mit sich bringt, um?

Ich habe mich damit arrangiert. Es können aber Kleinigkeiten sein, die mich aus der Puste bringen, beispielsweise wenn ich meinen Kindern helfe, die Schuhe zuzubinden. In gebückter Haltung bleibt mir einfach die Luft weg.

Bei Familienausflügen heißt es immer: „Keiner redet mit Mama, bis sie den Berg hochgelaufen ist.“ Das verstehen auch alle, und ich kann so mein eigenes Tempo finden.

Was hilft Ihnen am meisten?

Die größte Unterstützung erfahre ich neben der Patientenorganisation und der Selbsthilfegruppe von meiner Familie. Daher ist es auch meine größte Angst, den Alltag mit Familie, Haus und Garten irgendwann nicht mehr bewältigen zu können.

Doch ich hatte auch großes Glück, dass die Krankheit so früh diagnostiziert wurde und nun behandelt werden kann. Mit solchen Interviews möchte ich aufklären, damit Alpha-1 bei allen Betroffenen rechtzeitig erkannt wird – nur so kann die Lebensqualität erhalten bleiben und die Lebenserwartung steigen, trotz fortschreitender Erkrankung.

Weitere Informationen auf www.alpha1-deutschland.org

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