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“Meine Diagnose: Eine seltene Krankheit mit lehrbuchfremdem Verlauf“

Foto: 9nong via shutterstock.com

Die drei Buchstaben NDM stehen für eine Gruppe seltener erblicher Erkrankungen, die sogenannten Nicht-dystrophen Myotonien. Manuela Albert ist davon betroffen. Allerdings zeigt sich die NDM bei der 43-jährigen Mutter von vier Kindern lehrbuchfremd, was die ohnehin schon schwierige Diagnose noch mehr erschwerte. Das ist Manuelas Geschichte.

Manuela Albert
NDM-Betroffene

Seit ich meine Diagnose erhalten habe und in Behandlung bin, habe ich wieder Handlungsspielräume. Ich kann sogar wieder in Vollzeit arbeiten.

Manuela, wann zeigte sich Ihre NDM erstmals?

Ich erinnere mich, dass ich auf dem Schulhof der Grundschule häufig stürzte. Häufiger, als meine Mitschüler. Es war, als würde mir jemand aus dem Nichts heraus mitten im Lauf ein Bein stellen. Von 100 auf 0. Nur, dass da niemand war. Noch heute habe ich Narben an Händen und Knien von den andauernden Schürfwunden damals.

Gab es bereits NDM in Ihrer Familie?

Meine Mutter hat typische klinische Anzeichen einer leichten Myotonie. Sie kann Muskeln, die zum Bewegen angespannt werden, teilweise nicht mehr entspannen. Auch meine Oma und mein Urgroßvater mütterlicherseits hatten solche Symptome.

Haben Sie Ihre Symptome fortan stets begleitet?

Nein. Mit Beginn der Pubertät waren sie verschwunden.

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Wie kam es zur Diagnose NDM?

Vor zwei Jahren wollte ich eines Nachts aufs Klo und kam gar nicht erst aus dem Bett. Das ist Stress, dachte ich. Dann fiel ich quasi aus der Dusche und stieß mir den Kopf am Türrahmen. Wenige Minuten später stürzte ich noch einmal. Daraufhin fuhr ich ins Krankenhaus. Der Verdacht auf einen Schlaganfall bestätigte sich zum Glück nicht. Ebenso wenig der auf Multiple Sklerose. Ich berichtete dem Arzt in der Notaufnahme jedoch von meinen Unfällen und der familiären Belastung: Der schickte mich geistesgegenwärtig in die Neurologie.

Die Ärzte dort machten zwei schnelle Tests mit mir, die bei einem NDM-Verlauf nach Lehrbuch oft schon zur Diagnose führen: Faust ballen und öffnen sowie Augen zukneifen. Beide Tests waren bei mir unauffällig. Auch beim EMG, wo Nadelelektroden in meine Muskeln gestochen wurden, fiel nichts auf. (Mit einer Elektromyografie misst man die natürliche elektrische Aktivität eines Muskels. – Anm. d. Red.). Die mich behandelnde Ärztin erklärte meine Probleme als psychosomatisch.

Ich war verzweifelt und recherchierte auf eigene Faust im Internet. Dort stieß ich auf den Verein „Mensch und Myotonie e.V.“, eine Patientenorganisation. Ich nahm Kontakt auf und bekam den Namen eines NDM-Experten, den ich anschrieb. Er antwortete mir unerwartet schnell. Meine Symptome und medizinische Familiengeschichte sprächen durchaus für eine Myotonie, schrieb er. Vier Monate später war ich in seiner Klinik und wurde dort einmal komplett auf links gedreht. Das gründliche EMG ergab diesmal pseudomyotone Entladungen. Da meine Symptome so lehrbuchfremd waren, riet man mir zu einem Gentest. Der bestätigte mir eine Myotonia Congenita Thomsen.

Wie sieht Ihr Alltag mit NDM heute aus?

Sie kennen vielleicht den schmerzhaften Wadenkrampf nach einem langen Tag oder nach körperlicher Anstrengung, der einen plötzlich nachts im Bett wachhält…? Den habe ich dreißig Mal am Tag in unterschiedlichen Muskeln, gleichwohl im Lehrbuch steht, dass die Thomsen-Myotonie schmerzfrei verläuft.

Ich nehme seit der Diagnose zweimal täglich das Medikament, das in Deutschland für die Behandlung von NDM zugelassen ist. Das mindert meine Muskelkrämpfe und Schmerzen für einige Stunden. Und diese Zeit nutze ich. Ich arbeite in Vollzeit als Sekretärin in einem Baubetrieb. Meinem Arbeitgeber und meinen Kollegen habe ich von meiner Diagnose erzählt und ernte Verständnis und Unterstützung.

Daheim zeigt sich die NDM oft beim Zubereiten der Mahlzeiten für meine Großfamilie. Sobald ich merke, dass ich die Arme gleich nicht mehr bewegen kann, um in Topf und Pfanne umzurühren, rufe ich laut nach Hilfe. Das Medikament verschafft mir Handlungsspielraum. Seit Februar bin ich zudem im E-Rolli unterwegs und genieße die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit.

Ich leide außerdem am Erschöpfungssyndrom Fatigue. Einmal zuhause die Treppe hoch und runter – und ich bin fertig! Die Erschöpfung betrifft aber auch meinen Kopf: Immer wieder spüre ich nach körperlicher Anstrengung so einen Nebel. Dann höre ich zwar, wie jemand mich was fragt, brauche aber mitunter mehrere Minuten, um zu antworten. Draußen auf der Straße ist diese verzögerte Reaktion lebensgefährlich.

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Was wünschen Sie sich und anderen NDM-Betroffenen?

Ich wünsche uns, dass die Ärzte uns genau zuhören, auch wenn die Zeit knapp und der Stress groß sind. Meine NDM ist so untypisch, und doch ist sie real. Das schnelle Abtun als „psychosomatisch“ erleben leider viele NDM-Betroffene.

Ich wünsche uns ein gründliches Abklären unserer Symptome seitens der Ärzte.

Ich wünsche uns bessere Aufklärung. Auch im Internet finden sich scheinbar seriöse Quellen, die die NDM teils falsch, teils lückenhaft beschreiben.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Patientenorganisation Mensch und Myotonie e. V.

www.menschundmyotonie.de

Kontakt
Mensch & Myotonie e. V.
Postfach 16 03 30, 44333 Dortmund
1. Vorsitzender: Volker Kowalski
E-Mail: [email protected]
Tel.: 0231-803290 ( ab 12 Uhr )

instagram.com/officialmyotonia.orga
facebook.com/Myotonien
tiktok.com/@myotonia.org

Auch auf der Website der Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. finden Sie weitere Informationen

www.dgm.org

Kontakt
Bundesgeschäftsstelle der DGM
E-Mail: [email protected]
Tel.: 07665 94470

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