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Nicht-dystrophe Myotonien – Wenn Muskelentspannung ein Problem ist

Foto: Madrolly via shutterstock.com

Die Nicht-dystrophen Myotonien (NDM) sind seltene Erkrankungen. Von der Erbkrankheit Betroffene (Experten schätzen, dass es ca. 800 Patienten mit nicht-dystrophen Myotonien in Deutschland gibt) können ihre Muskeln nicht sofort wieder entspannen, wenn sie sie zum Bewegen angespannt hatten. Vielmehr blockiert die Muskulatur – je nach Ausprägung der NDM mal mehr, mal weniger stark, sodass die Beweglichkeit und damit auch die Lebensqualität leidet. Dr. Rudolf Andre Kley hat sich unter anderem auf neuromuskuläre Erkrankungen wie NDM spezialisiert. Im Interview erklärt er die Krankheitsursache, ihren typischen Verlauf und bewährte Therapien.

Dr. Rudolf Andre Kley

Chefarzt der Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie mit Stroke Unit am St. Marien-Hospital Borken

Dr. Kley, Sie behandeln unter anderem NDM-Patient*innen. Was ist die Herausforderung für Ärzt*innen beim Diagnostizieren von NDM-Erkrankungen?

Das ist ganz klar ihre Seltenheit. Die meisten Ärzt*innen haben noch nie eine Patientin oder einen Patienten mit NDM gesehen und wissen leider noch zu wenig darüber, sodass sich die Diagnosestellung verzögern kann. Zudem gibt es hinsichtlich der Beschwerden Überschneidungen mit anderen, viel häufiger vorkommenden Erkrankungen. Die Herausforderung ist also, trotzdem daran zu denken. Besteht erst einmal ein Verdacht auf NDM, lässt sich dieser meist schnell und sicher bestätigen oder widerlegen. Zum Beispiel mit klinischen Tests, mit der Elektromyografie (EMG) oder mit genetischen Untersuchungen. Am einfachsten ist es, die Patient*innen hierfür an einem Neuromuskulären Zentrum vorzustellen.

Mit welchen Beschwerden kommen NDM-Patient*innen zu Ihnen?

Die meisten klagen über eine muskuläre Steifigkeit, die sie im Alltag beeinträchtigt. Sie können zum Beispiel bei einem Händedruck eine Hand und beim Türöffnen die Klinke nicht sofort wieder loslassen oder erklimmen die Stufen einer Leiter nur verzögert. Häufig wird die Muskelsteifigkeit durch Kälte deutlich verschlimmert und geht mit Schmerzen einher. Manchmal kommt es auch zu einer zeitweisen (bis zu mehreren Stunden andauernden) Muskelschwäche. Mitunter leiden die Betroffenen zudem an einem Erschöpfungssyndrom, dieses steht jedoch ebenso wie die Schmerzen nur selten im Vordergrund. Erste Beschwerden setzen in der Regel schon in der Kindheit ein. Sie fallen zum Beispiel beim Schulsport auf, wo Betroffene, die Eltern oder Lehrkräfte erkennen, dass Bewegungen nicht so klappen, wie sie sollten.

Was passiert im Körper Betroffener, wie wirkt die Erkrankung dort konkret?

Bei Betroffenen sind spannungsabhängige Ionenkanäle in den Zellmembranen der Skelettmuskulatur mutiert, sodass es zu Fehlfunktionen oder gar einem Funktionsausfall kommt. Infolgedessen kommt es zu Erregungsstörungen der Muskeln. Man unterscheidet dabei Erkrankungen mit Störung eines Chloridkanals, die häufiger bei Männern als bei Frauen zu Symptomen führen, von den seltener vorkommenden Störungen eines Natriumkanals. 

Wie behandeln Sie NDM?

Es gibt ein zugelassenes Medikament in Tablettenform, das sich zur symptomatischen Behandlung von NDM gut bewährt hat. Es bringt den Patient*innen zumeist eine schnell spürbare Linderung ihrer Beschwerden. Manche merken erst unter der Therapie, wie eingeschränkt sie vorher durch die Muskelsteifigkeit waren. Auch der Begriff Jungbrunnen fiel schon mal im Hinblick auf die medikamentöse Behandlung. 

Welche begleitenden Maßnahmen können Betroffenen zusätzlich zur medikamentösen Therapie helfen? 

Die Patient*innen sollten nach Möglichkeit plötzliche starke Muskelanspannungen vermeiden. In leichter Bewegung zu bleiben, kann hingegen helfen. Denn viele Patient*innen kennen den Warm-up-Effekt: Die Muskeln zeigen sich weniger steif, wenn sie in Bewegung und damit „warm“ bleiben. Bei Patient*innen mit einer kaliumsensitiven Myotonie (PAM) erweist sich auch eine kaliumarme Ernährungsweise mitunter als hilfreich.

Wichtig: Stark ausgeprägte NDM können psychisch belasten, insbesondere dann, wenn die gestörte Mobilität den Alltag funktional oder sozial beeinträchtigt. In diesem Fall sollten sich die Betroffenen bei Therapeut*innen Hilfe holen. 

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