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Schlaffe Muskeln und verzögerte Entwicklung: Dahinter könnte die sehr seltene Erkrankung AADC-Mangel stecken!

Foto: Mr.Exen via Shutterstock

Als Summer 2016 auf die Welt kommt, ist alles perfekt. Sie ist das größte Glück ihrer Eltern, ihr Sonnenschein. Doch bereits wenige Monate später machen sich ihre Eltern Sorgen, da sich Summer langsam, zu langsam zu entwickeln scheint. Aber die Kinderärzte geben Entwarnung: Alles sei in Ordnung, jedes Kind habe eben sein eigenes Tempo. Auch nachdem Summer nach extremen Schreiepisoden mehrfach ins Krankenhaus muss, weil sie keine Luft mehr bekommt, werden die Eltern beschwichtigt. So was käme öfter vor, als man denke, kein Grund zur Sorge.

Doch im Laufe der Zeit beginnen sich die Auffälligkeiten zu häufen: Summer ist sehr dünn, ihre Muskeln sind schlaff, ihre Zunge ist dick und erschwert ihr das Atmen, ständig hat sie eine verstopfte Nase. Sie schwitzt stärker als andere Kinder, irgendwann beginnt sie, die Augen unwillkürlich nach oben zu verdrehen. Nun sind auch die Ärzte beunruhigt. Eine Klinikodyssee durch die Bundesrepublik beginnt, da kein Arzt feststellen kann, was Summer fehlt. Unzählige Untersuchungen folgen, eine Qual für Summer und ihre Eltern. Summers Mutter erinnert sich an diese schwere Zeit der Ungewissheit: „Solange wir keine Diagnose hatten, stand immer der Vorwurf im Raum, ob man zu wenig getan hat.“ Ein Gefühl, das viele Eltern kennen, die ein Kind mit einer seltenen Erkrankung haben.

Als Summer anderthalb Jahre alt ist, hat endlich ein Arzt einen konkreten Verdacht und untersucht nach einem MRT Summers Hirnwasser. Daraufhin wird sie in die Uniklinik Heidelberg überwiesen, wo dann endlich die Diagnose gestellt wird: Summer hat einen Aromatischen L-Aminosäure-Decarboxylase-Mangel, kurz AADC-Mangel, eine extrem seltene Stoffwechselerkrankung, die bisher nicht heilbar ist. 

Ursachen und Symptome 

Bei AADC-Mangel handelt es sich um eine sehr seltene genetische Erkrankung, die sich auf das Gehirn auswirkt und die Kommunikation der Nervenzellen beeinträchtigt. Eine Mutation eines Gens führt dazu, dass wichtige Signale im Nervensystem nicht mehr transportiert werden, weil der Körper die entscheidenden Botenstoffe nicht oder nur in zu geringen Mengen produziert. Zu den häufigsten Symptomen zählen eine geringe Muskelspannung bzw. eine geringe Muskelstärke, Bewegungsstörungen, insbesondere unwillkürliche Augenbewegungen, sowie Entwicklungsverzögerungen (z. B. keine altersentsprechende Kopfkontrolle, kein Krabbeln, Sitzen oder Stehen ohne Hilfe, kein Brabbeln oder Sprechen). Weitere häufige Symptome, die bei den betroffenen Kindern auffallen könnten, sind übermäßiges Schwitzen, vermehrter Speichelfluss, hängende Augenlider und eine verstopfte oder laufende Nase. Diese Symptome können einzeln auftreten und müssen nicht alle zusammen vorliegen.

Diagnostik: Detektivarbeit für Mediziner

Summer zeigte eine Vielzahl dieser Symptome. Aber sie ist einer von bisher nur etwa 125 beschriebenen Patientenfällen weltweit, die Erkrankung ist daher weitestgehend unbekannt, auch unter Medizinern. Zudem ähneln die Symptome des AADC-Mangels denen häufiger auftretender Erkrankungen wie Epilepsie oder Cerebralparese, das Beschwerdebild kann also auf die falsche Spur führen. Das führt dazu, dass die Diagnose oft sehr spät erfolgt. Im Durchschnitt sind betroffene Kinder bei der Diagnose dreieinhalb Jahre alt, obwohl erste Symptome bereits im dritten Lebensmonat auftreten können. Eine möglichst frühe Diagnose ist aber entscheidend, um die Behandlung und Versorgung der kleinen Patienten zu verbessern und betroffene Eltern auffangen zu können. Summers Mutter erzählt: „Die Diagnose trifft betroffene Familien tief. Einerseits ist man erleichtert, endlich zu wissen, was ist, nicht mehr im Ungewissen zu sein. Andererseits war es hart, über das Krankheitsbild aufgeklärt zu werden und zu hören, was die Krankheit mit sich bringt. Aber die Diagnose kann insofern Erleichterung schaffen, als nun konkrete Schritte für die Therapie geplant werden können.“

Behandlungsmöglichkeiten und Austausch

Denn auch wenn die Erkrankung bisher nicht heilbar ist, kann nach der Diagnose ein Therapieplan entwickelt werden, der dabei helfen kann, die Symptome der kleinen Patienten zu lindern. Dazu zählen Physio-, Ergo- und Sprachtherapien sowie individuell an den Patienten angepasste medikamentöse Optionen. Je früher also die Diagnose gestellt wird, umso schneller kann den betroffenen Kindern geholfen werden. Zudem gibt die Diagnose den betroffenen Familien die Möglichkeit, emotional aufgefangen zu werden. Summers Mutter erzählt uns: „Am wichtigsten erscheint uns der Aspekt, dass sich die Eltern und ihr erkranktes Kind nicht mehr alleine fühlen müssen. Es gibt Familien, die auch mit dieser Krankheit leben. Nur sie verstehen wirklich, wie man sich fühlt. Man ist nicht mehr so machtlos und kann etwas tun.“

Ein offener Umgang mit der Erkrankung

Deshalb nimmt Summers Mutter auch kein Blatt vor den Mund und spricht ganz offen über die Erkrankung ihrer Tochter. Sie sagt: „Ich möchte anderen Eltern mit Kindern, die auch mit AADC-Mangel leben, Mut machen und zurufen: Ihr seid nicht allein!“ Zudem hat Summers Mutter die Erfahrung gemacht, dass ein transparenter Umgang einer möglichen Stigmatisierung der betroffenen Kinder in ihrem Lebensumfeld entgegenwirken kann: „Ein offener Umgang mit der Krankheit hilft auch dem Umfeld, seine Hemmschwelle zu überwinden und offen Fragen zu stellen. Ein gut informiertes Umfeld ist die Basis, um das Kind im Alltag gut zu unterstützen.“

Ein offenes Ohr beim Kinderarzt

Und nicht zuletzt sind es dieser offene Umgang und die damit verbundene Aufklärung, die auch Ärzten, speziell Pädiatern, die Erkrankung auf den Schirm bringen können. Denn die behandelnden Kinderärzte sind meist die erste Anlaufstelle betroffener Eltern, die sich um ihr Kind sorgen. Summers Mutter wurde erst ernst genommen, als die Beschwerden sich häuften, daher sagt sie: „Ich möchte, dass Ärzte an die Krankheit denken, dass sie die Bedenken der Eltern nicht als Kleinigkeit abtun und dass sie weiterforschen, bis die Diagnose bestätigt ist.“ Dazu gehört auch, Kinder mit unspezifischen Beschwerden an spezialisierte Kollegen zu überweisen, wenn keine konkrete Diagnose gestellt werden kann. Damit die wenigen seltenen Fälle entdeckt und den kleinen Patienten und ihren Familien geholfen werden kann, so gut es bisher geht.

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