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Anlaufstellen

Erwachsenwerden mit Seltener Erkrankung

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Prof. Dr. Helge Hebestreit

Vorsitzender der Kommission Seltene Erkrankungen, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)

Seltene Erkrankungen sind in der Kinder- und Jugendmedizin gar nicht so rar! Ungefähr 700.000 der unter 18-Jährigen in Deutschland sind betroffen. Der Grund: Ca. 70% der insgesamt ca. 8000 Erkrankungsbilder manifestieren sich klinisch bereits im Kindes- oder Jugendalter. Die meisten Seltenen Erkrankungen verlaufen chronisch, die Symptome nehmen im Lauf der Jahre zu und viele betreffen gleich mehrere Organsysteme.

Eine möglichst frühzeitige Diagnose ist für eine frühe Behandlung und damit oft für den weiteren Verlauf entscheidend. In den letzten Jahren hat hier die molekulargenetische Diagnostik wie z.B. die Untersuchung der gesamten Erbinformation (Ganzexom- oder Genomsequenzierung) enorme Fortschritte gebracht.

Auch in der medizinischen Versorgung haben sich neue Wege etabliert: In den bundesweit mehr als 30 Zentren für Seltene Erkrankungen wird für diese besonderen Patientinnen und Patienten neben den pädiatrischen Spezialist*innen ein ganzes Team aus weiteren Berufsgruppen wie z.B. aus der Psychologie, Kinderkrankenpflege, Diätberatung oder Sozialarbeit aktiv, um die Kinder bestmöglich zu unterstützen und zu begleiten. Für die Familien der Patient*innen entstehen jedoch häufig weite Wege zu den Fachzentren, da diese (etwa für Mukoviszidose, seltene Hormonstörungen, seltene neuromuskuläre Erkrankungen oder seltene Stoffwechselstörungen) überregional und zum Teil bundesweit aufgestellt sind.

Wie bei anderen chronischen Erkrankungen auch müssen betroffene Kinder schon sehr früh lernen, mit der Krankheit umzugehen. Je nach Erkrankung erhalten sie daher bereits im Vorschul- oder Grundschulalter Schulungen, um mit ihren gesundheitlichen Bedürfnissen und Grenzen, mit der Medikation und mit Therapieplänen zurechtzukommen. Mit zunehmendem Alter werden sie dann schrittweise auf das Verlassen der pädiatrischen Versorgung vorbereitet – die Überleitung in die Erwachsenenmedizin ist aber nicht auf den 18. Geburtstag fixiert, sondern ein oft langjähriger Prozess, der weit früher beginnt und bis in das junge Erwachsenenalter hineinreichen kann. „Transition“ bezeichnet diesen Prozess, der strukturiert und begleitet werden muss, z.B. von spezialisierten Lots*innen. Sie können verhindern, dass die Betreuung der Jugendlichen auf dem Weg in die neuen Versorgungsformen unterbrochen wird oder ganz abbricht, und damit gesundheitliche Schäden entstehen.

Knapp 15 % der Kinder im Alter bis 17 Jahre sind in Deutschland von einer chronischen oder Seltenen Erkrankung mit speziellem Versorgungsbedarf betroffen und benötigen somit einen solchen strukturierten Transitionsprozess. Bei der Umsetzung der Transition entsteht ein hoher personeller Aufwand, insbesondere in den Versorgungsstrukturen der Pädiatrie. Zudem bringt der Transfer von jungen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung eine weitere Herausforderung mit sich, denn in der Erwachsenenmedizin ist ihr spezielles Krankheitsbild oft kaum bekannt. Wichtig ist daher auch, eine*n kompetente*n Ansprechpartner*in in der Erwachsenenmedizin zu finden. Die Gesundheitskompetenz der Patient*innen selbst ist hier unverzichtbar, um die eigenen Interessen und Bedürfnisse wahrnehmen und vertreten zu können. Dies zu ermöglichen und zu fördern, zählt auch zu den Aufgaben und Herausforderungen der heutigen Medizin. Als innovativer Versorgungsansatz werden für Menschen mit Seltenen Erkrankungen auch altersgruppenübergreifende Strukturen geschaffen, die den Transitionsprozess erleichtern.

Weiterführende Informationen:

Im März 2019 hat die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. eine Kommission berufen, die sich speziell mit mit dem besonderen Aspekt der Seltenen Erkrankungen in der Kinder- und Jugendmedizin befasst.

Lesen Sie mehr zur Arbeit der Kommission auf der Website der DGKJ e.V..

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