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Chiara Cumella – Ein Leben als Patientin und Ärztin zugleich

Foto: esanum

Chiara ist eine sizilianische Studentin im fünften Jahr ihres Medizinstudiums. Sie kennt das Leiden erkrankter Menschen, nicht nur aufgrund dessen, was sie während ihrer Praktika an der Universität erlebt hat, sondern auch, weil sie selbst an einer Vielzahl von seltenen Erkrankungen leidet. Wir möchten einen Auszug aus Chiaras einzigartiger Lebensgeschichte teilen, denn ihre Geschichte ähnelt der vieler anderer Patientinnen und Patienten, die an seltenen Krankheiten leiden – unsichtbare Geschichten von unsichtbaren Krankheiten.

esanum: Chiara, können Sie uns Ihre Geschichte von Anfang an erzählen?

Chiara mit ihrer Mutter (Foto: esanum)

Ich wurde in Sizilien geboren, in einer Familie wie viele andere. Bis zu einem gewissen Punkt erlebte ich eine normale, ruhige Kindheit, wie viele andere Kinder auch.

Etwa im Alter von sechs Jahren begannen bei mir die ersten gesundheitlichen Probleme: Schwierigkeiten beim Wasserlassen, Kopfschmerzen, Sehstörungen. Meine Eltern und ich begannen, ganz Italien zu bereisen, um herauszufinden, an welcher Krankheit ich litt und wie man sie heilen konnte. Viele Ärzte schienen meinem Fall jedoch wenig Aufmerksamkeit zu schenken und gingen nicht auf meinen klinischen Zustand als Ganzes ein. Manchmal befürchteten einige sogar, dass das, was mit mir geschah, ein Hirngespinst war. Im Alter von 12 Jahren wurde ich wegen einer Überlaufblase notoperiert. Ich kam aber ohne Diagnose aus dem Krankenhaus.

Glücklicherweise haben meine Eltern nicht aufgegeben. Dank ihrer Hartnäckigkeit fanden wir Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome endlich jemanden, der ein Tethered-Cord-Syndrom feststellte, was dann operativ behandelt wurde. Den Ärzten zufolge sollte diese Operation entscheidend sein. Nach den ersten Monaten des Wohlbefindens ging es mir wieder schlechter. Ich brauchte eine nasogastrale Sonde, um essen zu können, und saß im Rollstuhl, weil ich nicht laufen konnte. Es war eine sehr harte Zeit für mich. Dann kam die E-Mail von Dr. Paolo Bolognese, einem Neurochirurgen am Chiari EDS Center in New York. Er hat in einer Fernkonsultation erstmals die Hypothese aufgestellt, dass meine Symptome auf eine kraniozervikale Instabilität (CCI) im Zusammenhang mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom zurückzuführen seien. Wir mussten nach New York fahren, es entstanden enorme Kosten, ich war benommen und verängstigt, aber ich hatte endlich meine Diagnose. Seit dem Beginn meines Leidensweges waren etwa 7 Jahre vergangen.

esanum: Welche Gefühle werden bei Ihnen wach, wenn Sie an Ihre erste Reise in die Vereinigten Staaten denken?

Meine erste Reise in die Vereinigten Staaten ist eine Erfahrung, die ich nur schwer vergessen kann. Mir ging es überhaupt nicht gut, meine Familie hatte sehr hohe Kosten zu tragen: Reise, Gesundheit, Hotel, und niemand wusste, was nach der Operation passieren würde. Dank der Großzügigkeit meiner Stadt, die eine Spendenaktion organisierte, und der Intervention der Region Sizilien[1], konnten wir das Geld für die Operation aufbringen. Ich war ein kleines Mädchen, ich war krank, ich war auf der anderen Seite der Welt, mit so viel Hoffnung, aber auch mit so viel Angst. Doch alles verlief gut. Ich ging glücklich nach Hause, mit dem Gefühl, dass ich mein Leben wieder in die Hand genommen hatte. Ich konnte gehen, essen, hatte keine Schmerzen, die mich an einem normalen Leben hinderten, ich war endlich „gesund“. Ich begann wieder zur Schule zu gehen. Das hielt etwa drei Jahre lang an.

esanum: Und dann?

Meine neurologischen Blasenprobleme wurden nicht behoben. Ich unterzog mich mehreren Untersuchungen und Tests, und schließlich wurde mir die chirurgische Implantation eines sakralen Neuromodulationsgeräts angeboten. Die Ärzte, die mich operierten, wussten über meinen allgemeinen klinischen Zustand Bescheid, dennoch erlitt ich im Operationssaal einen Herzstillstand. Ich erholte mich ohne unmittelbare Folgen, aber nach kurzer Zeit traten eine Reihe von beunruhigenden Symptomen auf: hohes Fieber, Schluckstörungen, Kopfschmerzen. Der Neurochirurg teilte mir mit, dass die Fusion der Halswirbelsäule wahrscheinlich während des Intubationsmanövers und der kardiopulmonalen Wiederbelebungsmaßnahmen beeinträchtigt worden war. Es war notwendig, neu zu beginnen. Das Problem ist, dass ich seither nicht mehr über längere Zeiträume stabil bin. Das gleiche Muster wiederholt sich zyklisch: eine neue Reise in die USA, eine neue Operation, eine Phase des Wohlbefindens und dann der Rückfall. Immer wieder kommen die Symptome zurück.

esanum: Was war Ihrer Meinung nach die größte Schwierigkeit bei der Diagnose Ihres Falles?

Meine Krankheit ist selten, wahrscheinlich eine der seltensten Krankheiten überhaupt. Es ist nicht einfach, in einem Fall wie dem meinen eine schnelle Diagnose zu stellen, aber jahrelanges Warten ist nicht akzeptabel. Wir brauchen Forschung, wir brauchen eine adäquate Ausbildung der Ärzte, wir brauchen gemeinsame Leitlinien, wir brauchen ein effektives Kommunikationsnetz. In erster Linie müssen seltene Krankheiten den Status einer behandlungswürdigen Krankheit erhalten – wie jede andere Krankheit auch. Hätte man mir die Diagnose früher gestellt, wäre mein Leben heute vielleicht anders, besser.

Sie möchten das vollständige Interview lesen?

Das Interview mit Chiara können Sie in voller Länge lesen auf www.esanum.de.

esanum begleitet den Rare Disease Day und nimmt sich dem Thema Seltene Erkrankungen an, um Betroffene sichtbarer zu machen und die medizinische Forschung voranzutreiben.

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[1] In Italien gibt es Regionalparlamente, die für bestimmte Fragen, darunter auch für Gesundheitsfragen, zuständig sind.

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