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Autoinflammatorische Syndrome – Wenn der Körper von Entzündungsstoffen überschwemmt wird

Foto: Angela Aladro mella via Shutterstock

Autoinflammatorische Syndrome sind seltene Erkrankungen, die mit einem hohen Leidensdruck für Betroffene verbunden sind. Wie die derzeitigen Diagnose- und Therapieoptionen aussehen, erklärt Prof. Dr. Christina Zielinski von der TU München im Interview.

Prof. Dr. Christina Zielinski

TU München

Autoinflammatorische Erkrankungen sind im Gegensatz zu Autoimmunerkrankungen recht selten. Was sind die Hauptsymptome?

Autoinflammatorische Erkrankungen haben recht unspezifische Symptome. Dadurch ist die Diagnose häufig erschwert und erfolgt verzögert. Viele der Betroffenen haben häufig wiederkehrende Fieberschübe. Dieses Symptom ist oft wegweisend und hilft bei der Diagnosestellung, während einmaliges Fieber eher auf eine Infektion hinweist. Das Fieber ist gepaart mit multiplen anderen Symptomen, dazu zählen Beschwerden des muskuloskelettalen Systems, Hautausschläge, Kopfschmerzen und neurologische Probleme. Auch Gedeihstörungen beobachtet man, wenn die Beschwerden schon im Kindesalter auftreten.

Was geschieht bei diesen Erkrankungen im Körper von Betroffenen und wodurch werden die Beschwerden ausgelöst?

Bei den autoinflammatorischen Syndromen liegt eine Störung des angeborenen Immunsystems vor. Dies führt zu einer verstärkten Ausschüttung von entzündlichen Botenstoffen, den sog. Zytokinen. Insbesondere ist das Zytokin Interleukin-1 (IL-1) relevant für diese Erkrankungen. Es kann auch die Produktion anderer entzündlicher Botenstoffe fördern. Der Überproduktion von IL-1 liegt häufig eine genetische Prädisposition für eine verstärkte Inflammasomaktivität zugrunde. Dieses Inflammasom ist ein Molekülkomplex in Zellen des angeborenen Immunsystems, das für die Steuerung von Entzündungsprozessen zuständig ist. Im Körper von Menschen mit einer autoinflammatorischen Erkrankung wird somit meist zu viel IL-1 infolge einer verstärkten Inflammasomaktivität ausgeschüttet.

Kann man die autoinflammatorischen Erkrankungen verlässlich von Autoimmunerkrankungen abgrenzen? Wenn ja, wie?

Das ist in der Anfangsphase schwierig, weil die Symptome so unspezifisch sind und man erst ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren braucht, um die Diagnose verlässlich stellen zu können. Zusätzlich können Symptome zeitverzögert auftreten. Wenn sich die Patienten dann bei verschiedenen Ärzten vorstellen, zum Beispiel bei Hautausschlägen beim Dermatologen und bei Gelenkbeschwerden beim Rheumatologen, kann es manchmal passieren, dass die Symptome nicht zusammengeführt werden und die Symptomkonstellation unerkannt bleibt. Das ist bei den Autoimmunerkrankungen aber ähnlich. Was die autoinflammatorischen von Autoimmunerkrankungen aber unterscheidet, ist die ausgeprägte Fiebersymptomatik. Zwar tritt Fieber auch bei manchen Autoimmunerkrankungen auf, aber nicht so dominant. Autoimmunerkrankungen gehen im Gegensatz zu autoinflammatorischen Syndromen von Störungen des erworbenen Immunsystems aus. Die sogenannten T- und B-Zellen des erworbenen Immunsystems erkennen hierbei einen bestimmten Bestandteil unseres Körpers als fremd an und bekämpfen ihn gezielt. Deshalb sind Autoimmunerkrankungen auch häufig auf bestimmte Organe beschränkt, die diese Bestandteile, die sogenannten „Autoantigene“, exprimieren. Autoinflammatorische Syndrome äußern sich dagegen eher systemisch in vielen Organsystemen. Die Grenzziehung ist allerdings fließend mit vielen Ausnahmen. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse befürworten deshalb, dass es sich bei Autoimmunerkrankungen und autoinflammatorischen Syndromen um ein Spektrum an Erkrankungen handelt. Die strikte Trennung zwischen diesen beiden Erkrankungsformen ist also nicht mehr ganz zeitgemäß.

Unterschiede zwischen Autoinflammation und Autoimmunität*

Welche Aspekte sind hinsichtlich Diagnose und Diagnosezeitpunkt wichtig und wie sieht die Therapie aus?

Die Problematik bei der Diagnosefindung ist, dass diese Erkrankungen so selten und die Symptome schwer einzuordnen sind. Es beginnt die für seltene Erkrankungen so typische Odyssee von Facharzt zu Facharzt. Dabei vergehen meist Jahre, bevor sich das Gesamtbild der Symptome entwickelt. Dadurch entstehen in manchen Fällen bleibende Schäden. Daher ist es sehr wichtig, dass man die Diagnose so früh wie möglich stellt, um die Therapie einleiten zu können.

Zu Beginn erfolgt die Therapie meist symptomatisch, also zum Beispiel fiebersenkend oder schmerzlindernd. Hier kommen klassische Therapeutika wie Ibuprofen oder Glucocorticosteroide zum Einsatz, letztere unterdrücken die Entzündungsreaktion. Das sind aber keine kausalen Therapien.

Das Gute an der derzeitigen Forschungslage ist, dass man das beschwerdeauslösende Molekül IL-1 inzwischen kennt und therapeutisch blockieren kann. Auch andere entzündliche Zytokine wie das TNF-alpha oder IL-6 lassen sich bereits medikamentös blocken. Das ist eine große Erfolgsgeschichte in der Medizin. Durch den Einsatz dieser modernen zytokinblockierenden Medikamente können die autoinflammatorischen Syndrome sehr gut kontrolliert werden, sofern die Diagnose korrekt gestellt wurde. Der Einsatz dieser Medikamente führt dann recht schnell zu einer Reduktion der Symptomatik.

Was bedeutet die Diagnose einer autoinflammatorischen Erkrankung wie beispielsweise dem Still-Syndrom oder periodischen Fiebersyndromen ganz praktisch für den Patienten? Gibt es Aussicht auf medikamentenfreie Remission oder Heilung?

In den letzten Jahren hat sich in der Forschung und Entwicklung sehr viel getan. Die entwickelten Medikamente sind sehr effizient und haben wenig Nebenwirkungen, was eine enorme Verbesserung der Lebensqualität Betroffener bedeutet. Eine Nebenwirkung der IL-1 blockierenden Therapeutika kann ein leicht erhöhtes Risiko für Pilzinfektionen sein, die aber gut mit Antimykotika behandelt werden können. Die derzeit verfügbaren Medikamente müssen aber meist ein Leben lang eingenommen werden. Geheilt werden können die Erkrankungen also noch nicht.

Es gibt aber Beobachtungen, dass bei einigen der autoinflammatorischen Syndrome in etwa einem Drittel der Fälle eine Spontanremission eintreten kann. Die Erkrankung hört dann auf einmal „von allein“ auf, aber man weiß noch nicht genau, warum. Zudem konnten bei Patienten mit SJIA bei früher Therapie lang anhaltende Therapieerfolge mit einer Remission erzielt werden.

Stichwort Risikogruppe in Bezug auf Covid19: Menschen mit autoinflammatorischen Erkrankungen könnten versucht sein, Medikamente prophylaktisch abzusetzen. Was sagen Sie als Medizinerin dazu?

Ich würde nicht empfehlen, die Medikamente abzusetzen. Der beste Schutz ist aktuell, zu Hause zu bleiben und sich mit „social distancing“ gar nicht erst zu infizieren. Man geht aktuell davon aus, dass die Schwere der Covid-19-Erkrankung durch einen sogenannten Zytokinsturm verursacht wird. Die Lungensymptomatik wird dadurch bedingt, dass zu viele von diesen Botenstoffen ausgeschüttet werden. Interessanterweise setzt man einige der Medikamente, die von Patienten mit autoinflammatorischen Syndromen eingenommen werden, in klinischen Studien für COVID-19 ein.

Um valide herauszufinden, was man den Patienten empfehlen müsste, müssen klinische Studien durchgeführt werden. Am wahrscheinlichsten werden wir retrospektiv aus epidemiologischen Daten lernen, wenn wir uns die Krankheitsverläufe von COVID-19 bei Patienten mit autoinflammatorischen Syndromen anschauen.

*Quelle: https://www.trillium.de/zeitschriften/trillium-immunologie/archiv/ausgaben-2018/heft-32018/immunologie-leicht-gemacht/autoinflammation-und-autoimmunitaet-ein-fliessender-uebergang.html

Weite Informationen

Sobi – Forschung für Menschen mit seltenen Erkrankungen
Seltene Erkrankungen bedürfen in der Forschung großer Anstrengungen. Swedish Orphan Biovitrum AB (Sobi) als schwedisches, weltweit agierendes pharmazeutisches Unternehmen hat sich auf die Erforschung solcher Erkrankungen in der Hämatologie und Immunologie spezialisiert.


Im Bereich Hämatologie liegt der Schwerpunkt auf innovativen Medikamenten und Serviceprogrammen zur Behandlung der seltenen Blutgerinnungsstörungen Hämophilie A und B sowie verschiedenen Formen der Thrombozytopenie. Im Bereich Immunologie helfen zielgerichtete Therapeutika Patienten mit autoinflammatorisch-rheumatologischen Erkrankungen wie Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndromen (CAPS), rheumatoider Arthritis (RA) und dem Still-Syndrom, die überschießenden Entzündungsreaktionen zu kontrollieren, Langzeitfolgen zu vermeiden und Patienten ein fast „normales“ Leben zu ermöglichen. Auch für die autoinflammatorische Erkrankung familiäres Mittelmeerfieber (FMF) wurde vor kurzem eine neue Behandlungsoption zugelassen.


Die Ursachen dieser Erkrankungen sind vielfältig und nicht vollständig bekannt. Häufig liegen genetische Mutationen zu Grunde. Mit dem Ziel, die Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig zu verbessern, setzt Sobi auf die Information von Patienten und Ärzten, um Diagnosewege zu verkürzen: Je früher seltene Erkrankungen erkannt werden, umso schneller kann eine zielgerichtete Therapie eingeleitet und damit den Betroffenen eine rasche Rückkehr in ein normalisiertes Alltagsleben ermöglicht werden.


Die eigene Forschung, als auch Kooperationen mit anderen forschenden pharmazeutischen Herstellern ermöglichen Sobi regelmäßige therapeutische Innovationen für Patienten mit seltenen Erkrankungen zu entwickeln. So befinden sich derzeit zwei weitere Wirkstoff e zur Behandlung von seltenen Erkrankungen im Zulassungsprozess.
www.sobi-deutschland.de

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