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HAE

Attackenfreiheit in greifbarer Nähe

Schwellungsattacke: Mit den heutigen Therapieoptionen lassen sie sich gut behandeln und im Idealfall sogar verhindern. Foto: Velimir Isaevich via Shutterstock

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jens Greve, Oberarzt an der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Uni Ulm, über die seltene Erberkrankung hereditäres Angioödem (HAE) und neue, erfolgreiche Ansätze der Therapie.

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Prof. Dr. med. Jens Greve

Oberarzt HNO-Klinik, Kopf- und Halschirurgie Universitätsklinikum Ulm

Rund 1.600 Betroffene soll es in Deutschland geben, die an HAE erkrankt sind. Welche Symptome zeigen die Patienten?

Die Symptome sind unspezifisch und vielfältig. Deshalb ist HAE nicht leicht zu diagnostizieren. Es kommt zu entstellenden Schwellungen an Armen und Beinen. Seltener sind sie im Gesicht. Im Bereich des Kehlkopfes können sie sogar wegen Erstickungsgefahr lebensbedrohlich sein. Betroffene leiden unter oft krampfartigen Bauchschmerzen, die mehrere Tage anhalten können. Es kann auch zu Durchfall oder Erbrechen kommen. Die Symptome treten oft ohne Vorwarnung auf – bei dem einen Patienten mehrfach in der Woche, bei dem anderen nur einmal im Jahr.

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Was bedeutet das für das Leben der Patienten?

HAE kann sie in Schule und Beruf, aber auch im privaten Alltag erheblich einschränken. Sie haben ständig Angst vor der nächsten Schwellungsattacke, die nicht vorherzusehen ist. Bis zur richtigen Diagnose erleben sie oft eine Odyssee von Arzt zu Arzt. 

Was sind die Gründe für die oft fehlende Diagnose?

Viele Ärzte kennen HAE überhaupt nicht. Die Krankheit ist zwar erblich, aber wenn kein bekannter Fall in der Familie vorliegt, kommt es häufig zu Fehldiagnosen. Die unspezifischen Symptome wie Hautschwellung oder Bauchschmerzen können Mediziner leicht anderen Erkrankungen zuschreiben. An der Uni Ulm haben wir dazu eine Studie durchgeführt: Im Vergleich zu einer Gruppe der Normalbevölkerung wurden HAE-Patienten häufiger fehldiagnostiziert und zum Beispiel einer Magen-Darm-Spiegelung, einer CT-Untersuchung oder gar einer Bauchoperation unterzogen. 

Bei welchen Symptomen sollten Ärzte hellhöriger werden?

Aufgrund der verschiedenen Symptome können Betroffene bei Hausärzten, Hautärzten, HNO-Ärzten, Kinderärzten oder Gastroenterologen vorstellig werden. Bei wiederholten Hautschwellungen ohne Quaddeln und Juckreiz und krampfartigen Bauchschmerzen liegt der Verdacht auf HAE nahe. Hinweise sind auch Schwellungsattacken in der Familie und erste Symptome bereits vor dem 20. Lebensjahr. Auch wenn die Patienten nicht auf antiallergische Medikamente und Kortison ansprechen, sollten Kollegen genauer hinschauen. Dann kann eine Laboruntersuchung des Blutes einen möglichen Verdacht bestätigen.

Warum wirken antiallergische Medikamente oder Kortison nicht bei HAE?

Bei HAE wirkt ein anderer Botenstoff als bei einer Allergie und es ist eine völlig andere Stoffwechselkaskade aktiv. Wegen einer Genveränderung fehlt bei HAE ein körpereigenes Eiweiß oder es funktioniert nicht. Das verursacht die Schwellungen.

Welche Möglichkeiten gibt es im Bereich der Therapie?

Maßgeblich für die Therapie sind nun nicht mehr allein die Häufigkeit, Lokalisation und Schwere der Schwellungsattacken, sondern die individuelle Belastung beziehungsweise die Einschränkung der Lebensqualität des Patienten. HAE ist nicht heilbar und der Patient leidet darunter sein Leben lang. 

Gibt es typische Schwellungsauslöser, zum Beispiel eine Zahnbehandlung, kann man kurzfristig vorbeugen. Möglich ist auch, bei akuten Attacken die Schwellung schnell zurückzuführen. War unser Ziel früher, die Zahl und Schwere der Attacken zu reduzieren, so ist mit den neuen Therapien die Möglichkeit, langfristig und damit prophylaktisch ganz frei von Attacken zu werden, in greifbare Nähe gerückt. 

Möglich ist generell, das fehlende Enzym zu ersetzen. Dieses sogenannte C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat gewinnt man aus menschlichem Blut und spritzt es entweder bei einer akuten Schwellung oder mehrmals die Woche als vorbeugende Therapie in die Vene. Seit einigen Monaten ist dieses Konzentrat auch für eine Injektion unter die Bauchhaut, also subkutan, zur Prophylaxe zugelassen. Inzwischen gibt es auch ein synthetisch hergestelltes Medikament, das als Antagonist einen Rezeptor im Körper hemmt, zur Akuttherapie. Zudem ist seit Anfang dieses Jahres ein Antikörper verfügbar, der alle zwei bis vier Wochen ebenfalls subkutan verabreicht wird und dauerhaft das Auftreten von Schwellungsattacken verhindern soll. Studien mit diesem Antikörper haben ergeben, dass 77 Prozent der Patienten langfristig gar nicht mehr unter Attacken
litten.  

Sie haben weitere Fragen?

Finden Sie hier eine Anlaufstelle zu HAE in Ihrer Nähe.

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