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„Eine frühe Diagnose des Alagille-Syndroms ist entscheidend“ – PD Dr. Eberhard Lurz im Interview

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Das Alagille-Syndrom ist eine seltene angeborene System-Erkrankung, die hauptsächlich die Leber und oft das Herz betrifft. Wir sprachen mit PD Dr. Eberhard Lurz, Facharzt Kinder- und Jugendmedizin, Zusatz-Weiterbildung Kinder-Gastroenterologie, am LMU Zentrum für Entwicklung und komplex chronisch kranke Kinder im Dr. von Haunerschen Kinderspital, 2. Vorsitzender der GPGE e. V., über die Symptome und die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten.

PD Dr. med. Eberhard Lurz

Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Schwerpunkt pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Lebertransplantation

Foto: LMU Klinikum München

Herr Dr. Lurz, was passiert beim Alagille-Syndrom im Körper Betroffener und wie äußert sich die Erkrankung?

Das Alagille-Syndrom manifestiert sich meist unmittelbar nach der Geburt oder in der Säuglingsphase und ist durch eine deutliche Lebererkrankung mit Gelbsucht und Juckreiz gekennzeichnet, oft betrifft sie aber auch Herz oder Nieren. Verantwortlich hierfür ist ein Defekt in einem der beiden Strukturgene JAG1 bzw. NOTCH2, der zu einer fehlerhaften Entwicklung spezifischer Zellen führt.

Dadurch kommt es zu einer unzureichenden Entwicklung der Gallengänge in der Leber und Symptome wie Gelbsucht, Juckreiz und Leberprobleme können entstehen. Die Galle kann nicht regelrecht aus der Leber ausgeschieden werden, sodass es langsam zu einer Vernarbung der Leber kommt. Gemäß einer aktuellen internationalen (GALA) Registerstudie überleben weniger als 50% der Kinder mit ihrer eigenen Leber und eine Lebertransplantation wird im Verlauf notwendig. Manche Patienten haben einen sehr milden Krankheitsverlauf ohne relevante Symptome und die Diagnose wird erst zu einem späteren Zeitpunkt gestellt, z. B. wegen auffälligen Gesichtsmerkmalen wie einem spitzen Kinn mit breiter Stirn, kleinen Fettknötchen (Xanthomen) an den Augen oder der Haut, oder eigenem Nachwuchs mit AlagilleSyndrom. Eine endgültige Diagnose erfolgt in der Regel mittels genetischer Tests.

Was sind die größten Herausforderungen für Patienten und ihre Angehörigen?

Neugeborene zeigen oft in den ersten beiden Wochen eine gelbliche Verfärbung der Haut oder Skleren, welche man gut beobachten und spätestens nach dem 14. Lebenstag mit einer Blutuntersuchung und Bilirubin-Bestimmung abklären lassen sollte. Manche Neugeborenen haben auch sehr hellen, kalkfarbenen oder entfärbten Stuhlgang, bei dem man die Blutuntersuchung sofort durchführen sollte. Durch diese konsequente Untersuchung kann die Diagnose eines Alagille-Syndroms oder anderer Gelbsuchterkrankungen der Leber möglichst früh gestellt werden. Eine späte Diagnose birgt größere Belastungen für das Kind und die Familie, wie starken Juckreiz und Schlafprobleme. Hemmung des Wachstums und eine Entwicklungsstagnation können auftreten. Durch einen möglichen Mangel der fettlöslichen Vitamine besteht auch das Risiko für z. B. eine Vitamin K Mangel-bedingte Hirnblutung.

Welche Behandlungsoptionen gibt es derzeit?

Die Therapie beginnt mit der Verabreichung von fettlöslichen Vitaminen, um einen Mangel an den Vitaminen A, D, E und K zu verhindern. Zusätzlich versucht man durch die Gabe einer künstlich hergestellten Gallensäure, die Löslichkeit der Gallenflüssigkeit und damit Abfluss dieser aus der Leber zu optimieren. Die körperliche Entwicklung des Kindes wird engmaschig kontrolliert und die Ernährung ggf. angepasst und auf eine ausreichende Kalorienzufuhr geachtet. Teilweise kratzen sich Kinder mit Alagille-Syndrom täglich blutig und können nachts nicht schlafen. Ein neues Medikament ist seit letztem Jahr verfügbar und für die Behandlung dieses Juckreizes zugelassen. Dieses Medikament blockiert die Aufnahme der Gallensäuren im Dünndarm, sodass diese im Blut gesenkt werden und sich der Juckreiz mindert. Eventuell wird sogar die Leber entlastet und das Überleben mit der eigenen Leber verbessert. Eine frühe Diagnose und damit früher Beginn aller verfügbaren Therapieoptionen ist somit sehr wichtig für betroffene Kinder, um schwere Komplikationen zu vermeiden und ihnen eine altersentsprechende Entwicklung mit maximaler Lebensqualität zu ermöglichen.

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