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Hilfe für den eigenen Weg

Foto: BlurryMe/Shutterstock

Ein Gespräch mit Dr. med. Silvia Müther über Probleme beim Übergang in die Erwachsenenmedizin und ein Transitionsprogramm mit Lösungen.

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Dr. med. Silvia Müther

Leiterin des Diabeteszentrums für Kinder und Jugendliche an den DRK Kliniken Berlin Westend

Ab dem 18. Lebensjahr werden Kinderarztpatienten zum Fall für Erwachsenenmediziner. Weshalb ist hier die sogenannte Transitionsmedizin wichtig?

Es gibt bisher keine Standards beim Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin, in der häufig ein anderes Behandlungsklima herrscht. So wie bereits erfolgreich funktionierende Strukturen bei den Vorsorgeuntersuchungen etabliert sind, braucht es eine geplante Transition. Nur so lassen sich jugendliche Patienten in ihrer spezialisierten Betreuung halten sowie Fehl- und Unterversorgungen vermeiden. Fast 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leben mit einer chronischen Gesundheitsstörung. Etwa 14 Prozent der unter 18-Jährigen haben einen besonderen Bedarf an spezialisierter Versorgung. Das sind nicht wenige. Ohne strukturierte Transition fallen die aber oft aus der kontinuierlichen Betreuung heraus. Das stellen wir als Ärzte leider regelmäßig fest.

Mit welchen Hürden haben die Jugendlichen dabei am häufigsten zu kämpfen?

Generell müssen sich Jugendliche in diesem Alter von ihren Eltern lösen, neue Bindungen eingehen, eigene Wertvorstellungen entwickeln und berufliche und persönliche Lebensperspektiven gestalten. Im Bereich der Medizin müssen sie sich außerdem im Versorgungssystem zurechtfinden. Dies ist insbesondere für chronisch kranke oder behinderte Jugendliche oder Menschen mit seltenen Erkrankungen wichtig. Für seltene Krankheitsbilder sind zudem im erwachsenenmedizinischen Bereich noch keine zuverlässigen Versorgungsstrukturen vorhanden.
Der verantwortliche Umgang mit der eigenen Krankheit wird in der Erwachsenenmedizin vorausgesetzt. Viele Jugendliche sind darauf nicht gut vorbereitet und wissen nicht, was auf sie zukommt. Sie verlieren für kürzere oder längere Zeit den Kontakt zur notwendigen Spezialbetreuung und stellen sich in den fachlich qualifizierten Einrichtungen der Erwachsenenmedizin erst dann wieder vor, wenn – möglicherweise vermeidbare – Komplikationen aufgetreten sind.

Auch Eltern, die in der Regel über viele Jahre die Verantwortung für die medizinische und eventuell auch psychosoziale Versorgung übernommen haben, müssen lernen, diese Verantwortung an die Jugendlichen abzugeben. Neue therapeutische und vertrauensvolle Beziehungen zum Mediziner müssen erst wachsen.

Nicht selten sind Jugendliche zusammen mit ihren Eltern absolute Experten für ihre Erkrankung. Es ist nicht immer leicht, Spezialisten zu finden, die selbstbewusst mit solch versierten Patienten umgehen können. Hier in Berlin haben wir ein breites Angebot an spezialisierten Kollegen. Aber in ländlichen Regionen müssen die Patienten weite Strecken zurücklegen, um überhaupt einen Experten zu finden. Je komplexer die Krankheit ist, desto mehr Ärzte sind zudem involviert.

Warum ist der Übergang zu einem Erwachsenenarzt gerade für Jugendliche mit chronischen Krankheiten problematisch?

Generell wird für Jugendliche in diesem Alter der Grundstein für ein gesundheitsförderndes oder -gefährdendes Verhalten gelegt. Studien belegen, dass in der Zeit des Übergangs krankheitsbedingte Komplikationen besonders häufig auftreten. Es kann bei chronischen Erkrankungen langfristig zu gefährlichen Folgeschäden kommen. Allerdings gibt es auch akute Komplikationen, wie bei Jugendlichen mit Diabetes eine Unterzuckerung oder eine Ketoazidose. Noch gravierender wird es, wenn Patienten nach einer Nierentransplantation ihre Medikamente nicht einnehmen. Dann kommt es eventuell zur fatalen Transplantatabstoßung.

Mit Ihrem Berliner TransitionsProgramm (BTP) bilden Sie seit 2009 ein Netz, das die Jugendlichen im Notfall auffängt. Wie genau sieht das aus?

Wir wollen damit eine Lösung für diese strukturellen Hindernisse anbieten. Im BTP gibt es einen klaren Fahrplan für die gesamte Zeit der Transition. Wir definieren unter anderem, welche ärztlichen Leistungen und Gespräche zu welchem Zeitpunkt stattfinden. Während der gesamten Zeit der Transition behält ein Fallmanagement die Fäden in der Hand und steuert die Prozesse. Viele Krankenkassen finanzieren das Programm. Das BTP wird inzwischen bundesweit für viele Erkrankungen angeboten und dient als Vorlage für ein deutschlandweites Konzept.

Information

Alle näheren Informationen zum Programm finden Sie unter: btp-ev.de

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