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Im Zeitalter der Gentherapien

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Han Steutel

Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa)

Neulich fiel mir ein Zeitschriftenartikel aus den 1980er-Jahren in die Hände. Damals war es gerade gelungen, Insulin für Diabetiker großtechnisch mit Bakterien herzustellen; denn man hatte gelernt, wie man einzelligen Organismen das dafür nötige Gen aus menschlichen Zellen übertragen kann. Seinerzeit war das ein großer Schritt; heute ist es geradezu langweilige Routine. Spannend fand ich aber, dass der Autor seinerzeit schon viel weiter dachte, nämlich daran, wie viele Krankheiten sich womöglich wirksam behandeln ließen, wenn es gelänge, die richtigen Gene auch in die Zellen von Patientinnen und Patienten einzufügen.

Damals war das Zukunftsmusik, heute leben wir in der Zeit, in der das wirklich geht. Schon 13 Gentherapien sind in Deutschland verfügbar. Sechs davon dienen dazu, Erbkrankheiten – also angeborene Gendefekte – zu behandeln. Mit den übrigen lassen sich Immunzellen der Betroffenen fit für das Zerstören bestimmter Tumorzellen machen. Und das ist nur der Anfang: Rund 40 weitere Gentherapien haben weltweit schon das letzte Stadium der Erprobung erreicht. Und oftmals sind sie es, die das Versprechen einlösen, dass die Pharmaforschung auch für Menschen arbeitet, an deren Krankheiten weltweit nur wenige leiden.

Die für die Durchführung von Gentherapien entwickelten Vektorviren und anderen „Genfähren“ werden zu den Medikamenten gerechnet. Doch verläuft eine Therapie mit ihnen ganz anders als man das sonst von Medikamenten gewohnt ist: Geht alles gut, genügt eine einzige Behandlung für eine therapeutische Langzeitwirkung – und das bei chronischen Krankheiten, die man sonst, wenn überhaupt, nur mit einer Dauermedikation behandeln kann. Diese neue Situation haben viele – trotz aller Vordenker seit den 1980er-Jahren – bislang noch nicht verinnerlicht; und auch unser Gesundheitswesen ist erst allmählich bereit, neue Erstattungsmodelle zu erproben, wie es sie für diese Therapien braucht. Und es wird im kommenden Jahr für Unternehmen nicht einfacher, hierzulande neue Gentherapien anzubieten.

Schon 13 Gentherapien sind in Deutschland verfügbar. Sechs davon dienen dazu, Erbkrankheiten – also angeborene Gendefekte – zu behandeln. Mit den übrigen lassen sich Immunzellen der Betroffenen fit für das Zerstören bestimmter Tumorzellen machen.

Die Regeln für die Nutzenbewertung und die Preisfindung für neue Medikamente wurden mit dem kürzlich verabschiedeten Spargesetz weiter verschärft – und das gerade auch für solche Mittel, die nicht mit großen Patientenkollektiven erprobt werden können. Es bleibt von daher abzuwarten, wie viele der Gentherapien, die es durch die Zulassung schaffen, künftig auch in Deutschland zur Anwendung kommen können.

Auch wirken deutsche Krankenhäuser bislang wenig an der klinischen Erprobung von Gentherapien mit. Meist ist der Grund, dass es hierzulande außergewöhnlich viel Zeit braucht bis eine Studie wirklich beginnen kann, z. B. wegen langer Vertragsverhandlungen oder der schwierigen Klärung von Datenschutzbelangen etc. Das aber bringt mit sich, dass hierzulande kaum ein Mediziner schon vor der Zulassung lernt, wie die Behandlungen durchzuführen sind.

All das sind keine erfreulichen Entwicklungen für ein Land, das einmal zu den führenden in der Gentherapieentwicklung zählte. Doch ich glaube, dass die Einsicht reifen wird, dass Betroffene zu Recht erwarten können, dass ihnen medizinisch wichtige Therapien weiterhin zugänglich gemacht werden. Und ich glaube sogar daran, dass es Deutschland auch als Entwicklungsstandort für Gentherapien wieder zu Weltgeltung bringen kann. Denn dazu bereite Firmen, Forschungsinstitute und Kliniken gibt es hier; und die zuständige Arzneimittelbehörde, das Paul-Ehrlich-Institut, hat viel Kompetenz aufgebaut, um deren Arbeit konstruktiv zu begleiten. Auch ist endlich politischer Wille erkennbar, den Ausbau von Zentren für die Entwicklung neuer Gen- und Zelltherapien zu fördern, in denen Industrie und akademische Forschung zusammenkommen. Aktuell geht hier das Land Berlin voran. Deutschland könnte also doch noch international zum Mitgestalter der Ära der Gentherapien werden.

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